Wie Informationstechnologie der Psychiatrie zu neuen Erkenntnissen verhilft
Das D-ITET trägt mit dem Forschungsbereich der Biomedizinischen Technik und Neuroinformatik massgeblich zum ETH-Schwerpunkt Medizin bei und unterstützt die Förderung von Medizin und Gesundheitswesen mit ingenieurswissenschaftlichen Ansätzen. Ein Interview mit Oberassistentin Frederike Petzschner über den jährlichen Computational Psychiatry Course (CPC) an der ETH und UZH.
Vom 10. bis 14. September 2018 hat der 4. internationale Computational Psychiatry Course (CPC) an der ETH stattgefunden. Dieser Kurs findet seit 2015 jährlich in Zürich statt und wird gemeinsam von ETH und UZH durchgeführt. Er bringt (angehende) IngenieurInnen und KlinikerInnen zusammen und lehrt die mathematische Modellierung von Schaltkreisen im Hirn, um Aufschluss über psychiatrische Erkrankungen zu geben. Organisiert wurde der Kurs von Frederike Petzschner, Oberassistentin an der Translational Neuromodeling Unit (TNU) des Instituts für Biomedizinische Technik von ETH Zürich und Universität Zürich.
Im Interview spricht Frederike Petzschner über die Inhalte des Kurses, welche Rolle das D-ITET für die strategische Bedeutung der Medizin an der ETH einnimmt und erläutert, was sich hinter dem Begriff Computational Psychiatry verbirgt.
«Als Physikerin fühle ich mich in einem technischen Departement wie dem D-ITET instinktiv zu Hause.»Frederike Petzschner
Medizin ist in Ergänzung zu den Aktivitäten der Departemente ein thematischer Schwerpunkt der ETH Zürich. Inwiefern trägt das D-ITET zur Weiterentwicklung dieses Forschungsschwerpunktes bei?
Medizin ist seit langer Zeit ein wichtiges Thema im D-ITET, quer durch alle Fachbereiche. Beispiele sind das Design von tragbarer elektronischer Hardware und Sensoren zur Erfassung von Körperfunktionen oder die Entwicklung neuer Methoden für die klinische Bildgebung, wie z.B. Magnetresonanztomographie. Seit einigen Jahren ist am D-ITET auch Neuromodeling vertreten, die mathematische Analyse von neuronalen Schaltkreisen und der vom Hirn verwendeten Algorithmen. Dies liefert die Grundlage für die Nutzung mathematischer Modelle für psychiatrische Diagnostik und Prognose – eine Anwendung, die als Computational Psychiatry beschrieben wird. Mit dem Institut für Biomedizinische Technik (IBT), das in Partnerschaft mit der UZH betrieben wird, hat das D-ITET zudem seit vielen Jahren eine direkte Schnittstelle zur klinischen Medizin. An der Translational Neuromodeling Unit (TNU) betreibt es zusammen mit der UZH ein Ambulatorium für Forschungsstudien an Patienten. So können wissenschaftliche Innovationen schnell auf ihre Praxistauglichkeit geprüft werden. Medizin spielt aber nicht nur eine Rolle für die Forschung am D-ITET, sondern auch in der Lehre: So leitet das D-ITET den spezialisierten Master in Biomedical Engineering, und mehrere Professoren des Departements unterrichten im neuen Medizin-Studiengangs der ETH.
Womit genau beschäftigt sich der Computational Psychiatry Course?
Mathematische Modelle tragen heute einen entscheidenden Anteil zu unserem Verständnis wesentlicher kognitiver Prozesse wie Lernen und Entscheiden bei. Beim Computational Psychiatry Course geht es darum, Studierenden und WissenschaftlerInnen (Master, PhD, Postdoc) aber auch KlinikerInnen die nötige Methodik zu vermitteln, um mathematische Modelle wie sie heute zunehmend in der Erforschung psychiatrischer Erkrankungen eingesetzt werden, besser verstehen und anwenden zu können. Dabei besteht der Kurs aus vier wesentlichen Teilen: Einer Einführung in die grundlegenden klinischen Fragen der Psychiatrie (Tag 1), einem theoretischen Überblick über die verschiedenen mathematischen Modelle, die in dem Feld zum Einsatz kommen (Tag 2 & 3), aktuelle Beispiele zur Anwendung dieser Modelle in der Forschung (Tag 4), und einem optionalen Tag, an dem die Verwendung der Modelle direkt am Computer geübt werden kann (Tag 5).
Warum findet der CPC ausgerechnet in Zürich statt?
Die kurze Antwort ist: weil Zürich ein international führender Standort für Computational Psychiatry ist. Mit der Gründung der TNU im Jahr 2012 schufen die ETH und UZH 2012 die erste Institution weltweit, welche den Auftrag hat, Neuromodeling und Computational Psychiatry in die klinische Anwendung zu bringen. An der TNU arbeiten mehr als 30 mathematische WissenschaftlerInnen und KlinikerInnen Hand in Hand zusammen, um mathematische Modelle von Krankheitsprozessen in Patientenstudien zu erproben. Der Computational Psychiatry Kurs ist ursprünglich aus einem Seminar der Translational Neuromodeling Unit (TNU) am D-ITET entsprungen und wurde dann ab dem Jahr 2015 zu einem internationalen Kurs ausgebaut, der inzwischen Studierende und WissenschaftlerInnen aus der ganzen Welt anzieht.
Der Kurs bringt 150 Studierende mit Spitzenforscherinnen und -forschern aus der ganzen Welt zusammen. Welche besonderen Herausforderungen bringt das mit sich?
Der Kurs vereint klinisch motivierte (PsychologInnen, PsychiaterInnen, ...) und stark methodisch orientierte Teilnehmer (PhysikerInnen, MathematikerInnen, IngenieurInnen, ...) unter einem Dach. Dieser Austausch ist essentiell für die Zukunft des Feldes, verlangt aber auch ein überdurchschnittlich hohes Mass an Kommunikationsbereitschaft und das Finden einer gemeinsamen Sprache. Wir versuchen daher, immer wieder Verbindungen zwischen einzelnen Vorträgen aufzuzeigen und eine offene Atmosphäre für das Stellen vieler, vieler Fragen zu schaffen.
Neben der Interdisziplinarität ist sicher auch die Logistik eine Herausforderung - vor allem in einem Land wie der Schweiz, das akademisch sehr viel zu bieten hat, aber gerade für Gäste nicht gerade preiswert ist. Da das Feld noch klein ist, wollen wir auch dafür sorgen, dass sich die Studierenden untereinander kennen lernen und neue Kontakte knüpfen. Zu diesem Zweck bieten wir zusätzlich eine Reihe sozialer Aktivitäten an, zum Beispiel eine kostenlose Stadtführung, oder verschiedene virtuelle und reale soziale Treffpunkte.
Studierende können sogar Kreditpunkte erwerben für den Besuch des Kurses. Welche Leistungen müssen sie dafür erbringen?
Das ist richtig, der Kurs ist ausserdem Teil zweier spezialisierter Master-Programme am D-ITET, Biomedical Engineering und Neural Systems and Computation. Zum Erhalten der Kreditpunkte müssen die Studenten nach dem Ende des Kurses eine mündliche Prüfung ablegen, in der wir ihr Verständnis der Konzepte und mathematischen Methoden prüfen.
Laut dem CPC-Twitterkanal sind die Teilnehmer «big fans of open source & open knowledge exchange». Wie muss man sich diesen Austausch vorstellen?
Open source and open knowledge sind derzeit grosse Themen in der Forschung. Beim CPC heisst das konkret, dass die Vorträge über das ETH Podcast System aufgezeichnet werden und anschliessend online angesehen werden können. Der verwendete Code wird ebenfalls online gestellt. Zusätzliche bietet die TNU ihre eigene open source Toolbox TAPAS an. Sämtliches Material ist somit nicht nur für Teilnehmer, sondern für jede interessierte Person frei zugänglich. Wir hoffen, mit dem offenen Teilen von Wissen und Methoden das Feld voranzubringen und auch denen einen Zugang zu ermöglichen, die sich eine Reise nach Zürich vielleicht nicht leisten können.
Am CPC gab es auch eine Diskussionsrunde zur Zukunft der Computational Psychiatry. Wohin wird die Reise voraussichtlich gehen?
Das ist sicher noch eine offene Frage, der wir alle mit Spannung entgegensehen. Das erklärte Ziel ist es, mit konkreten klinischen Tests auf der Basis mathematischer Modelle – sogenannte «computational assays» – die Diagnostik und individualisierte Therapiewahl in der Psychiatrie zu verbessern. Zum Beispiel geht es darum, Methoden zu entwickeln, die den optimalen Behandlungsansatz und das Rückfallrisiko einzelner Patienten vorhersagen können. Noch stehen wir am Anfang, aber das Interesse und das Potential sind gross – dieses Jahr konnten wir die Editoren von Nature Neuroscience und Science für unseren Kurs gewinnen, im letzten Jahr war es unter anderem der Direktor des amerikanischen National Institute of Mental Health (NIMH) Joshua Gordon.
Sie selbst haben in Bayern Physik studiert und in Neurowissenschaft promoviert. Was reizt Sie an diesem medizinisch ausgerichteten Forschungsschwerpunkt in Zürich?
Sicherlich die Anwendungsorientierung. Schon kleine Schritte in diesem Feld könnten die Lebensqualität vieler Menschen verbessern. Daran mitzuarbeiten motiviert und inspiriert.
Wie verbunden fühlen Sie sich dem D-ITET als übergeordneter Einheit?
Als Physikerin fühle ich mich in einem technischen Departement wie dem D-ITET instinktiv zu Hause. Ich weiss aber auch, dass unsere Forschung innerhalb der «klassischen» Elektrotechnik eher ein Nischenfach darstellt. Dennoch habe ich immer das Gefühl gehabt, dass wir am Departement sehr willkommen sind und bin dankbar für diese Offenheit. Ich habe auch den Eindruck, dass die engen inhaltlichen Bezüge unseres Faches zu zentralen Themen der Elektrotechnik in den letzten Jahren am Departement zunehmend erkannt wurden. Zum Beispiel werden etliche der im Neuromodeling genutzten mathematischen Methoden, wie z.B. Bayes'sche Techniken zur Identifikation dynamischer Systemmodelle und Analysetechniken für Schaltkreise, auch von vielen anderen Arbeitsgruppen am Departement genutzt.
Die Translational Neuromodeling Unit (TNU), unter der Leitung von Prof. Klaas Enno Stephan, ist Teil des Instituts für Biomedizinische Technik von ETH Zürich und Universität Zürich. Die TNU entwickelt und validiert mathematische Modelle, die individuelle Störungen der Physiologie und Informationsverarbeitung neuronaler Schaltkreise aus Neuroimaging-, Elektrophysiologie- und Verhaltensdaten erschliessen, um individuelle Krankheits- und Therapieverläufe vorherzusagen.
Links
- Translational Neuromodeling Unit (TNU)
- externe Seite Website CPC