«Geschwindigkeit hat mich schon immer fasziniert»

In unserer neuen Portraitserie erläutert Prof. Colombo Bolognesi, Leiter des Instituts für Millimeterwellen Elektronik (MWE), seinen Forschungsschwerpunkt Verbindungshalbleitertransistoren und warum seine «super-rauscharmen» Transistoren eine entscheidende Rolle bei der Weltraumforschung der European Space Agency spielen.

Prof. Bolognesi, was ist Ihr Forschungsschwerpunkt?

Prof. Colombo Bolognesi

Unser Hauptgebiet sind ultrahigh-speed Verbindungshalbleitertransistoren. Wir sprechen hier von Bauteilen, die mit Frequenzen von mehreren hundert GHz arbeiten können. Ihr Handy, dagegen, sendet weitgehend unter 2-6 GHz.

Was sind Verbindungshalbleiter und was sind ihre Hauptanwendungsgebiete?

Verbindungshalbleiter sind künstliche oder synthetische Halbleiter, die durch die Kombination bestimmter chemischer Elemente entstehen. Sie sind mit elementaren Halbleitern wie Silizium oder Germanium zu vergleichen, die in der Natur vorkommen.

Heute werden solche Transistoren in leistungsstarken Telekommunikationsnetzen eingesetzt, z.B. in Glasfasernetzwerken und den kommenden 5G- und 6G-Netzen. Es steht mehr Bandbreite für höhere Datenraten und Trägerfrequenzen zur Verfügung. Daher wird es notwendig, schnellere Bauteile zu entwickeln, die es Schaltungen ermöglichen, mit höheren Frequenzen zu arbeiten. So werden beispielsweise 5G-Netze die Möglichkeit bieten, etwa 30 GHz zu erreichen, und damit sehr schnelle Datenraten über kurze Distanzen. Die Forschung meines Doktorvaters Herbert Kroemer hat wesentlich dazu beigetragen, das Rückgrat des Internets zu gestalten und so zur heutigen Informationsgesellschaft beizutragen. Im Jahr 2000 erhielt er einen 1/4-Anteil am Physik-Nobelpreis.

Eine weitere Anwendungsdomäne für unsere Bauteile ist Deep Space Communications: Unsere im Rahmen der Finanzierung durch die ESA (Europäische Weltraumorganisation) entwickelten Devices gehören zu den besten der Welt und werden in ESA-Bodenstationen verwendet, um Daten von Weltraumsonden für Missionen bis zum Mars zu empfangen.

Research Photo Competition 2019
Mikrochips, die am Institut für Millimeterwellen Elektronik hergestellt wurden, finden in den Missionen der ESA Verwendung. (Bild: 2. Preis der Research Photo Competition 2019 am D-ITET, copyright: Tamara Popovic)
«Das Interessante an Verbindungshalbleitern ist, dass man ihre Eigenschaften durch Veränderung ihrer Zusammensetzung verändern kann. Auf diese Weise können wir für unsere Anwendungen massgeschneiderte Transistoren für Halbleiter herstellen.  »
Prof. Colombo Bolognesi

Was hat Sie zu diesem Forschungsgebiet geführt? Was hat Sie fasziniert?

Ich mochte Physik in der Schule, also wählte ich Elektrotechnik, um sie praktisch anzuwenden. Das ET-Curriculum ist komplex und Themen werden oft nicht in der richtigen Reihenfolge unterrichtet. Halbleiterbauelemente werden oft ohne gute Erklärung eingeführt, so dass Schülerinnen und Schüler desorientiert und verwirrt zurückbleiben. Das war auch in meinem ersten Studienjahr der Fall.

Ich versuchte – mit wenig Erfolg – selbstständig zu lernen. Nachdem ich jedoch den erforderlichen Kurs in moderner Physik absolviert hatte, belegte ich im zweiten Jahr den Halbleiterkurs. Ich war begeistert, dass mir die Konzepte dort vertraut waren. Wenn man tiefer gräbt, findet man heraus, dass das gesamte Framework auf schöner und nützlicher Physik beruht. Der Grund etwa, warum Halbleiter so funktionieren, wie sie es tun, ist, dass sie eine direkte Manifestation der Quantenmechanik sind.

In der Elektrotechnik kann es eine Menge High-Level-Arbeit geben, wie z.B. Systeme, bei denen Dinge durch Blockdiagramme mit einer gegebenen Input/Output-Response-Funktion beschrieben werden, und es kann die berühmte «Black Box» geben. Ich fühlte mich zu den Innenseiten der Box hingezogen, wo die "Action" auf der Ebene der beweglichen Elektronen in den elektronischen Komponenten stattfindet.

«Mein Interesse an schnellen Komponenten stammt aus der Tatsache, dass ich als Jugendlicher ein Faible für Geschwindigkeit hatte: Ich hoffte (vergebens), Kampfpilot oder Hockeyspieler zu werden und interessierte mich für schnelle Fahrzeuge.»
Prof. Colombo Bolognesi

Welche Auswirkungen hat Ihre Forschung auf die Gesellschaft?

Die Tatsache, dass unsere Transistoren weit verbreitet sind, insbesondere unsere «super-rauscharmen» Geräte der ESA, ist sehr erfüllend. Unsere Technologie findet auch Verwendung, wenn man sich z.B. einen Film in einem Zug ansieht, was vielleicht nicht so grundlegend klingt. Es ist jedoch die gleiche Technologie wie in 5G-Netzwerken, die autonome Fahrzeuge und Telemedizin bzw. -chirurgie ermöglichen wird. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob alle diese Entwicklungen wünschenswert sind, da sie dazu führen, dass der Mensch durch ständige Verlagerung auf die Technik Fähigkeiten wie z.B. das Kartenlesen verliert.

Welche sind derzeit die grössten Herausforderungen in Ihrem Forschungsgebiet?

Eines der Probleme ist, dass die Bauteile so schnell sind, dass ihre zuverlässige Messung schwierig wird, da die Testgeräte auf langsameren elektronischen Komponenten basieren. In unseren Raumfahrtelektronik-projekten ist das Transistorrauschen so gering, dass eine Charakterisierung extrem schwierig ist. Darüber hinaus ist die Transistorleistung so gut geworden, dass die Modelle einfach scheitern, auf denen die Entwicklung der letzten Jahren basiert. Als nächstes möchten wir Schaltungen bauen, die auf solchen Bauteilen basieren. Aber wenn die Frequenzen steigen, wird die Situation elektromagnetisch sehr kompliziert. Es braucht mehrere Schritte und eine solide Infrastruktur, die nur an wenigen Orten auf der Welt existiert.

Arbeiten Sie mit anderen Forschern vom D-ITET zusammen?

Ja, gelegentlich. Ich habe derzeit ein interessantes Projekt mit Prof. Mathieu Luisier. Darin simuliert er die Leistung unserer Transistoren, um leistungsbegrenzende Faktoren besser zu verstehen. Ausserdem arbeite ich mit dem Ferdinand-Braun-Institut in Berlin und der Universität Duisburg zusammen.

Wie gefällt Ihnen die ETH als Forschungseinrichtung?

Ich arbeite seit 2006 an der ETH! Die grossen Forschungsplattformen wie FIRST Laboratory, der BRNC-Reinraum und das Center for Microscopy ermöglichen erstklassige Forschungsmöglichkeiten.

Wie international ist Ihre Gruppe? Sind Sie auf der Suche nach Doktoranden?

Meine Gruppe ist sehr international. Ich kam mit drei meiner chinesischen Studenten aus Vancouver an die ETH, so dass ich bei meiner Ankunft die «chinesische Dichte» auf unserem Stockwerk sofort vervierfachte. Ich habe oder hatte Leute aus den Vereinigten Staaten, Indien, Italien, Russland, Serbien, Spanien, Schweden, der Ukraine und ein paar Deutsche und Schweizer, nicht allzu überraschend in der Hochtechnologie. Vielleicht ist es noch ungewöhnlich, dass die Hälfte meiner Gruppe weiblich ist - durch kein bestimmtes Zutun - es ist einfach so. Neulich habe ich mich sehr gefreut, eine Doktorandin aus dem Iran einstellen zu können.

Wie wird sich Ihr Bereich in den nächsten Jahren entwickeln?

Wir versuchen, eine Orientierung für die Entwicklung von Schaltkreisdemonstratoren zu geben. Bestimmte etablierte Technologien mögen Schaltungsblöcke anbieten, aber es wäre überzeugender, wenn wir mit unseren fortschrittlichen Transistoren bessere Leistungen erbringen würden. Die Messlatte für die Akzeptanz einer neuen Technologie wird immer höher. Das ist eine Herausforderung, die wir hoffentlich in eine Chance verwandeln können.

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Professoren am D-ITET

In unserer Interview-Reihe geben Professoren am D-ITET einen Einblick in ihre Forschung und ihre persönliche Motivation, in die Wissenschaft zu gehen.

Vorlesungen

Prof. Colombo Bolognesi gibt im Frühlingssemester die Vorlesung «Halbleiterbauelemente» für Bachelorstudierende im 4. Semester und im Herbstsemester die Vorlesung «High-Speed Signal Propagation» für Masterstudierende.
Weitere Informationen unter mwe.ee.ethz.ch

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