«Unser Ziel ist es, sichere autonome Autos zu entwickeln»
In unserem Interview erklärt Prof. Luc Van Gool, Leiter des Computer Vision Lab (CVL), weshalb es für eine Maschine im letzten Jahrzehnt viel einfacher geworden ist, den Inhalt eines Bildes zu erkennen und wie das autonome Fahren in den nächsten Jahren zum Durchbruch gelangen könnte.
Prof. Van Gool, was ist Ihr Forschungsschwerpunkt?
Unser Hauptforschungsgebiet ist Computer Vision, ein Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz (KI). Mit Hilfe einer Maschine versuchen wir, Aufgaben zu automatisieren, die das menschliche Auge auf natürliche Weise ausführt, wenn wir ein Bild oder ein Video betrachten. Ziel ist es, dass die Maschine die Informationen, die sie im Bild «sieht», zu «verstehen» lernt und auf der Grundlage der Beobachtung relevante Ergebnisse liefert. Wichtige Teilbereiche von Computer Vision sind Tracking und Gestenanalyse, Objekterkennung und bildbasiertes Retrieval sowie 3D-Modellierung.
Wie wichtig war die durch «Deep Learning» ausgelöste Revolution für die Entwicklung des Gebiets Computer Vision?
Wie in allen anderen Bereichen der Signalverarbeitung, mit Hilfe des maschinellen Lernens und insbesondere der neuronalen Netze des «Deep Learning», ist es im letzten Jahrzehnt für eine Maschine wesentlich einfacher geworden, den Inhalt eines Bildes zu erkennen. Computer sind nun in der Lage, statt bestimmter oder einzigartiger Objekte, wie z.B. «ein Hund», «eine Katze», Klassen von Objekten zu verallgemeinern und zu erkennen. Die Bereiche, in denen Computer Vision eingesetzt wird, sind viel breiter geworden als noch vor wenigen Jahren: Es gibt nun erste Modelle selbstfahrender Autos, genauere Diagnosen im Gesundheitswesen, Einzelhandelsgeschäfte ohne Kassierer oder Kasse oder automatisierte intelligente Fabriken, um nur einige zu nennen.
Was hat Sie zu diesem Forschungsgebiet geführt? Was fasziniert Sie daran?
Ich habe Elektrotechnik an der Universität von Leuven in Belgien studiert. Damals wurde in den Fakultäten der Elektrotechnik das Gebiet Computer Vision entwickelt. Universitäten, die in jüngerer Zeit Computer Vision Labs eingerichtet haben, sind heutzutage oft im Fachbereich Informatik angesiedelt. Das Sehen ist unser wichtigster Sinn, da ein Grossteil unseres Gehirns mit der Verarbeitung der Informationen, die wir sehen, beschäftigt ist. Das hat mich schon immer fasziniert. Ich war mir bewusst, dass die Anwendungen sehr vielfältig sind, sollte man es schaffen, einem Computer das Sehen beizubringen. Das hat mein Interesse an diesem Gebiet noch verstärkt.
Welche Auswirkungen hat Ihre Forschung auf die Gesellschaft?
Das tägliche Leben der heutigen Verbraucher ist voller Anwendungen, die auf Computer Vision basieren, z.B. die Kameras in Mobiltelefonen, die heute sehr gut in der automatischen Bildverbesserung oder der Klassifizierung der riesigen Anzahl von Bildern, die wir generieren, sind. Die Qualität eines Mobiltelefons wird heutzutage durch die Qualität der Kamera bestimmt! Ein weiterer sehr interessanter Forschungsschwerpunkt meiner Gruppe, der einen enormen Einfluss auf das Leben der Menschen haben könnte, ist das autonome Fahren. Wir versetzen Computer in die Lage, Objekte wie andere Autos, Verkehrsschilder oder Fussgänger zu identifizieren und dann entsprechend zu handeln.
Welche Vorlesungen halten Sie?
In diesem Herbstsemester habe ich zusammen mit meinen Kollegen Ender Konukoglu und Orcun Göksel die Lehrveranstaltung «Image Analysis and Computer Vision» für Studierende verschiedener Masterstudiengänge, wie Elektrotechnik und Biomedizin, aber auch Maschinenbau oder Gesundheitswissenschaften unterrichtet. Das Interesse an diesem Bereich ist in den letzten Jahren enorm gewachsen. Insgesamt haben wir jährlich mehr als 300 Studierende, die diese Vorlesung besuchen.
Arbeiten Sie mit anderen Personen am Departement Informationstechnologie und Elektrotechnik (D-ITET) oder anderen Departementen der ETH Zürich zusammen?
Innerhalb des D-ITET haben wir ein gemeinsames Projekt mit den Gruppen von Luca Benini (Institut für Integrierte Systeme) und Benjamin Grewe (Institut für Neuroinformatik), die Deep Learning effizient auf Hardware abbilden, um zuverlässige neuronale Prozessoren zu bauen. Unser Ziel ist es, die Algorithmen des Tiefenlernens so zu adaptieren, dass sie die natürliche Verarbeitung des Gehirns imitieren können. Wir möchten ein sehr kleines Gerät mit geringem Stromverbrauch bauen, das gleichzeitig denken und sehen kann. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Automatik (IfA) entwickeln wir die Multi-Roboter- und Multi-Agenten-Systeme für unsere RoboCup-Fussballmannschaft.
Darüber hinaus kooperieren wir mit dem Departement Informatik (D-INFK), z.B. mit der Gruppe Computer Vision and Geometry und dem Computer Graphics Laboratory.
Wie gefällt Ihnen die ETH als Forschungseinrichtung?
An der ETH Zürich zu sein bedeutet, dass die eigene Sichtbarkeit als Forscher sehr gut ist. Die ETH ist eine hoch angesehene Universität, und man kommt mit vielen exzellenten Forschenden und Studierenden in Kontakt. Aus der ETH gehen viele sehr erfolgreiche Spin-offs hervor, was wiederum viele internationale Unternehmen dazu bewegt, ihre Vertretungen oder sogar ihren Sitz in Zürich zu eröffnen. Das ist einzigartig in Europa! Was unser Departement betrifft, so ist das D-ITET eine der treibenden Kräfte für viele aktuelle Tendenzen, die unsere Gesellschaft prägen. Darauf können wir stolz sein.
«Das D-ITET ist eine ETH «en miniature». Es ist grossartig, mit Kolleginnen und Kollegen in den verschiedensten interdisziplinären Bereichen zusammenarbeiten zu können, sei es in Neurowissenschaft, Biomedizin, Hardware oder Software.»Prof. Luc Van Gool
Welche sind derzeit die grössten Herausforderungen in Ihrem Forschungsgebiet?
Im Moment sind auf Schweizer Strassen nur Fahrerassistenzsysteme zu sehen. Autonome Autos dürfen noch nicht fahren, und Fahrer die Hände nicht vom Lenkrad nehmen. Abgesehen von diesen regulatorischen Herausforderungen sind schlechte Wetterbedingungen ein Thema oder sehr ungewöhnliche Situationen, die der Computer noch nie «gesehen» hat, z.B. Fasnachtsfahrzeuge.
Ausserdem können autonome Fahrzeuge mehr Staus verursachen, da so mehr Menschen mobil werden können. Wir müssen sicherstellen, dass dies vermieden wird, indem die Autos miteinander kommunizieren. Die landesweite 5G-Abdeckung wird in diesem Zusammenhang ebenfalls sehr wichtig sein, nicht nur für die Autos, um zu kommunizieren, sondern auch für die Passagiere, die ihre Freizeit im Auto nutzen, um riesige Datenmengen für Spiele, Online-Lesen etc. herunterzuladen.
Eine weitere Herausforderung wird es sein, die Architekturen der neuronalen Netze zu verbessern. Die Auswahl der zu extrahierenden Merkmale wurde zwar durch Deep Learning automatisiert, aber für die Wahl der besten neuronalen Netzarchitekturen fehlt noch immer eine solide theoretische Grundlage.
Woran genau werden Sie in den nächsten Jahren arbeiten, um das autonome Fahren voranzutreiben?
In unserer Gruppe werden wir schrittweise damit beginnen, einen Prototyp eines fahrerlosen Autos mit der notwendigen Sensorik, wie Kameras, Radarsensoren und GPS-Systemen, auszustatten. Wir hoffen, dieses Auto bald auf einer speziellen Teststrecke ausprobieren zu können. Im Rahmen unseres TRACE-Projekts (Toyota Research on Automated Cars in Europe) werden wir die Regelungstechnik für unser Auto entwickeln.
Wann werden wir die ersten autonomen Autos auf den Strassen von Zürich sehen?
Wenn man Dinge vorhersagt, passiert oft das Gegenteil, also müssen wir hier vorsichtig sein. Das Jahr 2023, das von gewissen Experten als Durchbruch der selbstfahrenden Fahrzeuge bezeichnet wird, ist nicht wahrscheinlich. In einem ersten Schritt werden wir auf Autobahnen mit weniger komplizierten Verkehrssituationen als in der Stadt teilweise selbstständig fahrende Autos sehen. Nach und nach wird das Auto autonomere Aufgaben übernehmen. Mit dem TRACE-Projekt in Zusammenarbeit mit Toyota verfolgen wir die Strategie, am sichersten und nicht als erste auf dem Markt zu sein. Sich zu schnell in eine neue Technologie zu stürzen, bei der Sicherheit an erster Stelle steht, wäre nicht sehr klug.
Professoren am D-ITET
In unserer Interview-Reihe geben Professoren am D-ITET einen Einblick in ihre Forschung und ihre persönliche Motivation, in die Wissenschaft zu gehen.