«Wir entwickeln 'Übermorgen'-Konzepte für die All-Electric Society»

Im Interview spricht Prof. Johann Kolar, Leiter der Professur für Leistungselektronik und Messtechnik, über die zukunftsorientieren Forschungsprojekte seiner Gruppe, die atemberaubende Geschwindigkeit, in der heutzutage neuartige Konzepte entstehen und sein Bedauern darüber, dass der Tag nur 24 Stunden hat.

Herr Prof. Kolar, was ist Ihr Forschungsschwerpunkt?

Johann Kolar

Mein Forschungsschwerpunkt ist Leistungselektronik, konkreter leistungselektronische Systeme, das Bindeglied zwischen der Informationstechnologie und Energietechnik. Es gibt Unmengen an Beispielen für Systeme, in denen Leistungselektronik zur Anwendung kommt: z.B. im Bereich Datenverarbeitung, d.h. in Daten- und Rechenzentren oder im Energienetz u.a. in Verbindung mit der Nutzung erneuerbarer Energie, in Hybrid- und Elektrofahrzeugen, aber auch in der Automatisierung von Fertigungsprozessen oder der Robotik. In all diesen Bereichen braucht es elektronisch gesteuerte Leistungs- oder Energieflüsse.

Was hat Sie zu diesem Forschungsgebiet geführt? Was fasziniert Sie daran?

Ich hatte das Glück, in einem technisch geprägten Gymnasium einen Lehrer im Fach Elektrotechnik mit Industrieerfahrung in der Leistungs- und Mikroelektronik zu haben. Das hatte ich aber bis zur Studienentscheidung wieder vergessen und mich eher für die Fachrichtung Medizin interessiert, bin dann aber nach einem ersten Sezierkurs wieder zur Elektrotechnik zurückgekehrt. Parallel dazu habe ich einige Semester Wirtschaft studiert, bis ich Rahmen meiner Diplomarbeit wieder auf die Leistungselektronik gestossen bin und mich an meine Schulzeit und Lehrer erinnert habe. Von da an war ich der Leistungselektronik mit ihren breiten theoretischen wie experimentellen Herausforderungen voll und ganz verfallen. Diese Leidenschaft möchte ich auch in der Lehre vermitteln und an die Studierenden – neben einem soliden Grundstock an Wissen – weitergeben mit dem Ziel, dass sie einen Beitrag zur Entwicklung von Clean Tech Systemen leisten können.

«Ich möchte den Studierenden meine Leidenschaft für das kreative Schaffen neuer Konzepte und einen Grundstock an Fachwissen mitgeben, sodass sie einen Beitrag zur Transformation der Gesellschaft in eine 'All-Electric Society' leisten können.»
Prof. Johann Kolar

Welche Auswirkungen hat Ihre Forschung auf die Gesellschaft?

Gleich vorweg: Die Dynamik in meinem Forschungsbereich, vor allem was neuartige Konzepte betrifft, ist atemberaubend. Hier am Institut führen wir Leistungshalbleiter, Filterkreise, Sensoren, digitale Signalverarbeitungsbausteine und elektromechanische Aktuatoren zu Gesamtsystemen zusammen, die man in allen Bereichen der Gesellschaft benötigt, von Energietechnik über Mobilität bis hin zur Biomedizin: zum Beispiel bei der Einspeisung von Solarenergie in das Stromnetz, der drahtlosen Energieversorgung von künstlichen Herzen oder einer neuartigen Türbetätigung für den Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen in Japan.

In der Zusammenarbeit mit der Industrie haben wir die «Übermorgen-Projekte» im Blick, das heisst wir beschäftigen uns nicht mit der nächsten, sondern mit der übernächsten Generation von Produkten oder mit allgemeinen grundlegenden Fragen. Zurzeit ist der Bereich Elektrofahrzeuge überaus dynamisch, hier vor allem in der Ladetechnik, um extrem kurzen Ladezeiten möglichst lange Fahrdistanzen zu erzielen. Ein anderer Aspekt ist die Energieverteilung im Fahrzeug und wie Antriebsmotoren in Zukunft gestaltet werden. Der Umsetzungshorizont für all diese Forschungen ist typ. das Jahr 2025, in dem sich – so die Prognosen – die Kosten von Elektrofahrzeugen an die von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor angeglichen haben wird. Demgemäss ist dann ein exponentieller Anstieg der Verkaufszahlen von Elektrofahrzeugen zu erwarten. Die Fahrzeugindustrie bereitet sich darauf vor, der Kostendruck ist enorm.

Ein anderes Beispiel ist zukünftige Flugzeuge. Es wird über grundsätzlich neue Flugzeugkonzepte nachgedacht, bei denen Gasturbinen elektrische Energie erzeugen, der Antrieb über elektrische Fans erfolgt und das Flugzeug eine völlig andere Form hat als bisher. Dieser Flugzeugtyp bringt viele Vorteile mit sich: er benötigt weniger Treibstoff, verursacht weniger CO2-Ausstoss und Lärm, und die Länge der Start- und Landebahnen verkürzt sich wesentlich.

Des Weiteren sind wir auch an Entwicklungen rund um Erneuerbare Energien beteiligt, zum Beispiel im Zusammenhang mit Photovoltaik oder Windkraft. Es geht hier vor allem um fortschrittliche Konzepte, die auch die saisonale Speicherung von Energie zum Ziel haben. Diese heute gedachten Konzepte werden auf ihre Wirtschaftlichkeit getestet und werden sich dann je nach Kostenprofil durchsetzen.

Vergrösserte Ansicht: PES
Die Forschungsprojekte des PES decken ein breites Spektrum von Anwendungsbereichen und alle grundlegenden Formen der leistungselektronischen Energieumwandlung ab.

Welche Vorlesungen halten Sie in diesem Semester?

Ich habe über mehr als 10 Jahre die Vorlesungen «Netzwerke und Schaltungen I & II» gehalten und habe diese Aufgabe vor Kurzem an Christian Franck (Teil I) und Jürgen Biela (Teil II) übergeben. Ich halte aber weiter eine Vorlesung im Bachelorteil des Studiums zu Grundlagen der Leistungselektronik und Vorlesungen im Masterstudium, und zwar Leistungselektronische Systeme Teil I und II jeweils im Herbst- und Frühjahrssemester.

Wie gefällt Ihnen die ETH als Forschungseinrichtung?

Die ETH ist eine exzellente Forschungsumgebung. Mir gefällt am besten die Leichtigkeit und die allgemeine Begeisterung mit der neue Konzepte entstehen. Ganz allgemein freue ich mich auch über den im Gegensatz zu anderen Institutionen geringen Verwaltungsaufwand. Ausserdem gefällt mir, dass die ETH äusserst «forward-looking», d.h. immer klar zukunftsorientiert ist, und sich nie mit dem Erreichten zufriedengibt.

Mit welchen Kolleginnen und Kollegen innerhalb und ausserhalb des Departements haben Sie Kooperationen?

In unserem Lab spannen wir den Bogen bereits intern von der Schaffung und theoretischen Analyse neuer Konzept bis zur Realisierung industrienaher Hardware, die dann oft die Grundlage für eine übernächste Produktgeneration bildet. Daher habe ich mit Kolleginnen und Kollegen am Departement oft nur punktuelle Kooperationen, wie z.B. mit Christian Franck zur Isolationsbeanspruchung von Solid-State Transformatoren für das Internet of Energy, oder Ulrike Grossner zu Konzipierung neuer Leistungs-Halbleitermodule für More Electric Aircraft. Weiters sind wir mit der drahtlosen Energieversorgung einer implantierten Herzpumpe in die Hochschulmedizin Zürich eingebunden. Die Breite unserer Tätigkeit kommt auch durch die hohe Anzahl an Industriekooperationen zustande. Daneben sind unsere Spin-offs, mit denen wir natürlich eng verbunden sind, ebenfalls wichtige Impulsgeber.

Vergrösserte Ansicht: The team of the Power Electronics Systems Laboratory
Das Team der Professur für Leistungselektronik und Messtechnik

Sie haben mehrere Spin-offs gegründet und laut Ihrer Website beschäftigen Sie sogar einen «Industry Relations Manager». Können Sie uns Näheres dazu sagen?

Die Vertragsverhandlungen mit Industriepartnern wurden über die Jahre vor allem durch Fragen zum Geistigen Eigentum und zu Publikationen sehr komplex. Am Institut haben wir pro Applikationsbereich einen Hauptforschungspartner, um nicht in Konkurrenzsituationen zu kommen. Wir sind jedoch intern völlig transparent um den Meinungsaustausch zwischen Doktoranden zu ermöglichen, alles andere wäre nicht sinnvoll. Von der Abteilung ETH Transfer werden wir dabei hinsichtlich vertraglicher Details und der vielen Patentanmeldungen sehr gut unterstützt.

Wie international ist Ihre Gruppe? Sind Sie auf der Suche nach Doktoranden?

Wir haben 20 Doktorandinnen und Doktoranden und 9 Nationalitäten, von Polen über Italien bis hin zu Brasilien und China. Neben der Arbeit mit Studierenden schätze ich den direkten Austausch mit Doktoranden sehr. Mit Dr. Dominik Bortis und Dr. Florian Krismer bin ich nahezu rund um die Uhr beschäftigt, die Professur am Laufen zu halten und die richtigen Impulse zu setzen bzw. Forschungsrichtungen zu definieren und die Forschungen zu begleiten. Unsere Hierarchie ist sehr flach, die Arbeit passiert bei uns im Team.

Welche Herausforderungen sind derzeit die grössten in Ihrem Forschungsgebiet?

Ich erlebe eine massive Beschleunigung der Abläufe durch die Digitalisierung, im wissenschaftlichen Bereich wie auch in der Industrie. Daneben ist zum Beispiel der Klimawandel ebenfalls ein «Beschleuniger», der zu dringendem Handeln auffordert, insbesondere in der Energietechnik.
Mit einem kleinen Augenzwinkern: Auf persönlicher Ebene ist es für mich oft eine Challenge, dass der Tag nur 24 Stunden hat. Ich finde kaum genug Zeit, alles zu machen, was mich interessieren würde. 

Professoren am D-​ITET

In unserer Interview-​Reihe geben Professoren am D-​ITET einen Einblick in ihre Forschung und ihre persönliche Motivation, in die Wissenschaft zu gehen.

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