«Wir wollen das Internet auf das nächste Level bringen»

Professor Laurent Vanbever ist Leiter der Networked Systems Group (NSG) und zweifacher Gewinner der Lehrauszeichnung «Goldene Eule». In unserem Interview erklärt er, wie er als Kind die grossen Computer-Infrastrukturen im Büro seines Vaters bestaunte und wie er den Studierenden heute bewusst macht, dass es einer wirklich kollektiven Anstrengung bedarf, damit das Internet funktioniert.

von Stefanie Pfennigbauer

Prof. Vanbever, was ist Ihr Forschungsschwerpunkt?

Prof. Laurent Vanbever

Mein Hauptforschungsgebiet liegt im Bereich der Computernetzwerke, mit einem Schwerpunkt auf Internet-Infrastrukturen. Wir möchten die grossen Netzwerke, aus denen das Internet besteht, zuverlässiger, leistungsfähiger und sicherer machen. Als globale Kommunikationsinfrastruktur ist das Internet eine der einflussreichsten Erfindungen unserer Zeit. Es hat unzählige Innovationen ermöglicht und wird dies auch weiterhin tun. Zu erforschen, wie man das Internet auf das nächste Level bringen kann, ist daher eine zentrale Herausforderung unserer modernen Gesellschaft.

«Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit den Kollegen im Hardwarebereich hier am D-ITET, darunter Luca Benini vom Institut für Integrierte Systeme.  »
Prof. Laurent Vanbever

Was hat Sie zu diesem Forschungsgebiet geführt? Was fasziniert Sie daran?

Seit meiner Kindheit war ich immer fasziniert von grossen Computerinfrastrukturen und wie sie «ticken». Das hat wohl angefangen, als mein Vater, der selbst Informatiker ist, mich das erste Mal mitnahm, als er an einem Wochenende den Grossrechner seiner Firma aufrüsten wollte. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie ehrfürchtig ich den Raum betrat und begann, die mit (inzwischen sehr veralteten) Geräten gefüllten Regale zu bewundern. Als ich älter wurde, gab ich einen Grossteil meines Taschengeldes für gebrauchte Netzwerkgeräte aus und baute mein erstes «Netzwerk» in unserem Keller auf. Als das Internet in den 90ern zu boomen begann, habe ich meine Eltern zur Verzweiflung getrieben, indem ich ständig unseren Festnetzanschluss mit meinem 56k-Modem in Beschlag nahm.

Welche Auswirkungen hat Ihre Forschung auf die Gesellschaft?

Ich werde versuchen, bescheiden zu sein! (lacht) Der Einfluss der Kommunikationsnetze ist gigantisch: Viele der Schlüsseltechnologien, die wir tagtäglich ohne nachzudenken nutzen, stammen aus der Computernetzwerk-Community. Beispiele sind das Web, E-Mails, Video-Streaming, Voice-over-IP und vieles mehr.

Mit unserer Forschung zu einem zuverlässigen und sicheren Netzwerkbetrieb möchten wir sicherstellen, dass unsere Gesellschaft «online» bleibt. Heutzutage betrachten viele Menschen die ständige Internetverbindung als selbstverständlich. Doch leider ist dies bei weitem nicht der Fall. Beispielsweise, wenn man an den Ausfall denkt, von dem die Swisscom kürzlich betroffen war. Neben Hunderttausenden von Swisscom-Kunden, die stundenlang keinen Zugang zum Internet hatten, betraf der Ausfall auch Notfallnummern, die in mehreren Kantonen nicht erreichbar waren. In Momenten wie diesen wird einem wirklich bewusst, welche entscheidende Bedeutung das Internet in unserem täglichen Leben spielt.

Sie forschen zum Thema Blockchain. Was macht Ihre Gruppe auf diesem Gebiet?

Blockchain ist eine wichtige Technologie, die es uns ermöglicht, eine gross angelegte verteilte Datenbank aufzubauen. Im Falle von Bitcoin erstreckt sich diese verteilte Datenbank über das Internet und zeichnet die Bewegungen zwischen verschiedenen Konten auf. Mit unserer Forschung möchten Blockchain aus Netzwerk-Sicht untersuchen. Eine Frage, mit der wir uns beschäftigt haben, ist unter anderem: Wo befinden sich die Bitcoin-Knoten in der Internet-Topologie und wie werden sie verbreitet? Zu unserer Überraschung stellte sich heraus, dass sich viele von ihnen an nur wenigen Stellen befinden. Vom reinen Netzwerkstandpunkt aus gesehen, ist die Kryptowährung nicht so dezentralisiert wie zu erwarten wäre. Dies ist ein Sicherheitsrisiko, da es so genannte «Man-in-the-Middle»-Angriffe ermöglicht, bei denen bösartige Netzwerke Zugang zu einem grossen Teil des Bitcoin-Verkehrs erhalten und diesen manipulieren können. Wir haben gezeigt, dass diese Angriffe machbar sind und zu erheblichen Geldverlusten führen können. In unserer Folgeforschung untersuchen wir nun, wie wir Angriffe verhindern können, z.B. durch den Aufbau sicherer Overlay-Netzwerke.

Welche Vorlesungen halten Sie in diesem und im nächsten Semester?

In diesem Semester (Frühjahr 2020) unterrichte ich «Communication Networks», unsere Flaggschiff-Vorlesung für Bachelor- und Masterstudierende, in der wir Studierenden beibringen, «wie das Internet funktioniert und warum». Eines unserer Projekte in diesem Kurs beinhaltet, dass alle Teilnehmenden (über 150 Studierende in diesem Jahr) ein eigenes Mini-Internet bauen, warten und betreiben. Dabei erkennen die Studierenden, dass es einer wirklich kollektiven Anstrengung bedarf, damit das Internet funktioniert. Die Tatsache, dass dafür alle zusammenarbeiten müssen, schafft ein Gemeinschaftsgefühl.

Im Herbstsemester werde ich die Vorlesung «Advanced Topics in Communication Networks» für Masterstudierende halten. Und zusammen mit Roger Wattenhofer und Lothar Thiele werde ich den Kurs «Diskrete Ereignissysteme» auf Bachelor- und Masterstufe unterrichten.
 

nsg
Die Networked Systems Group von Laurent Vanbever umfasst momentan insgesamt neun Doktorandinnen und Doktoranden. Neue Mitglieder sind sehr willkommen!

Mit welchen Kolleginnen und Kollegen innerhalb und ausserhalb des Departements haben Sie Kooperationen?

Computernetzwerke sind ein von Natur aus interdisziplinäres Gebiet. Wir arbeiten mit Forschungsgruppen am Departement Informatik (D-INFK) zusammen, die eher theoretisch orientiert sind, wie die von Martin Vechev (Secure, Reliable, and Intelligent Systems Lab). Ich habe am D-INFK auch gemeinsame Projekte mit Ankit Singla (Network Design & Architecture Lab). Neben dem zuverlässigen Netzbetrieb haben sich unsere Forschungsinteressen in letzter Zeit auf programmierbare Netzwerkhardware, d.h. mit umprogrammierbaren ASICs ausgestattete Netzwerkgeräte, verlagert. Daher freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit den Hardware-Leuten hier am D-ITET, darunter Luca Benini vom Institut für Integrierte Systeme (IIS).

Wie gefällt Ihnen die ETH als Forschungseinrichtung?

Es ist schwierig, die ETH nicht zu mögen! Das Forschungsumfeld ist erstklassig: Wir haben grossartige Studierende und Kolleginnen und Kollegen von Weltklasse in allen wissenschaftlichen Disziplinen. Wir haben auch ein grosses Ökosystem von Unternehmen, von denen viele an der Zusammenarbeit bei der Lösung von praktisch relevanten Problemen interessiert sind. Nicht zuletzt können wir auf grosse Unterstützung der ETH Zürich selbst zählen. In Europa sehe ich keinen anderen Ort, der mit dieser Hochschule konkurrieren könnte.

Wie international ist Ihre Gruppe? Sind Sie auf der Suche nach Doktoranden?

Meine Gruppe ist ziemlich international. Unsere insgesamt neun Doktorandinnen und Doktoranden kommen aus der Schweiz, Spanien, Deutschland, Griechenland und Frankreich. Unser erster Doktorand, der letztes Jahr seinen Abschluss gemacht hat, stammt aus Gaza (Palästina). Und, ja, ich suche nach neuen Doktoranden! Interessierte Studierende sollen sich auf jeden Fall mit mir in Verbindung setzen. Der beste Weg, mich zu erreichen, ist per E-Mail.

Welche Herausforderungen sind derzeit die grössten in Ihrem Forschungsgebiet?

Es gibt keinen Mangel an Herausforderungen im Bereich Computernetzwerke. Der Anschluss entlegener Gebiete ans Internet, insbesondere von Entwicklungsländern, ist eine davon. Auch die notwendige drastische Reduzierung des Energieverbrauchs unserer Computer und die Skalierung der Internet-Infrastruktur, um mit der Explosion des Videoverkehrs (der bereits mehr als 75% ausmacht) und der steigenden Anzahl von Hosts aufgrund des «Internets der Dinge» (IoT) fertig zu werden, beschäftigt uns. Eine weitere Herausforderung besteht darin, das Internet besser vor Angreifern, aber auch versehentlichen Fehlern zu schützen.

Ich bin optimistisch: Ich glaube, wir werden Wege finden, mit diesen Herausforderungen umzugehen. Wir sind bereits sehr weit gekommen, und es ist klar, dass das Internet in Zukunft nicht verschwinden wird.

Professoren am D-​ITET

In unserer Interview-​Reihe geben Professoren am D-​ITET einen Einblick in ihre Forschung und ihre persönliche Motivation, in die Wissenschaft zu gehen.

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