«Elektrische Energie hat eine Schlüsselrolle in der nachhaltigen Energieversorgung»

Prof. Christian Franck spricht im Interview über die grossen gesellschaftlichen Aufgaben, zu deren Lösung er mit seiner Arbeit beitragen möchte, und seine Erfahrungen mit den Online-Lehrangeboten in der Coronakrise.

von Stefanie Pfennigbauer

Prof. Franck, herzlichen Glückwunsch zur Vollprofessur! Könnten Sie uns kurz Ihre Tätigkeit am D-ITET näher beschreiben?

Christian Franck

Danke für die Glückwünsche! Das ist eine tolle Anerkennung für mein Team und mich und die Arbeit und den Einsatz der letzten Jahre.

In der Forschung beschäftigen wir uns einerseits mit klassischer Hochspannungstechnik, also der Beherrschung hoher elektrischer Feldstärken, und andererseits mit neuen Technologien für das elektrische Energiesystem von morgen. Der zweite Bereich geht über die reine Hochspannungstechnik hinaus und enthält auch Schnittstellen zu anderen Disziplinen der Ingenieurswissenschaften, aber auch zu Materialstoffwissenschaften, Maschinenbau, Verfahrenstechnik oder Grundlagefragestellungen der Physik.

Wir versuchen, die Hardware des Energiesystems mit modernen und umweltfreundlichen Materialien herzustellen und zu betreiben. Hierzu entwickeln wir zum Beispiel Möglichkeiten, wie das viel benutzte Gas SF6 mit seinem problematisch hohen Treibhauspotential – ein Kilogramm des Gases hat die gleiche Wirkung in der Atmosphäre wie 23,5 t CO2 – ersetzt werden kann. Wir forschen aber auch an neuen Isolationsmaterialien für Anwendungen in der Leistungselektronik, da deren Belastung in den letzten Jahren stark gestiegen ist. Generell gibt es in allen Bereichen heute neue Möglichkeiten und Ansprüche. Aus diesen ergeben sich eine Vielzahl unserer Forschungsgebiete. Immer wieder gibt es auch Kooperationen und Projekte, bei denen unser Know-how im Gebiet der Beherrschung und Nutzung hoher elektrischer Feldstärken gefragt ist. Kleinere Kooperationen hatten wir etwa mit Gruppen aus dem Bereich der Lebensmittelbearbeitung und Knieorthesen – oder aber Projekte, bei denen wir Technologien aus anderen Disziplinen für unsere Anwendungen ausprobieren, zum Beispiel für die Messung elektrischer Feldstärken mit rein optischen Methoden.

In der Lehre bieten wir verschiedene Einstiegs- und Spezialvorlesungen für die Studierenden der Vertiefungsrichtung «Energie und Leistungselektronik» und des Masters in «Energy Science and Technology» an. Im Bachelor habe ich das Vergnügen und die Ehre, die Erstsemestrigen im Rahmen der Vorlesung «Netzwerke und Schaltungen I» kennen zu lernen und beim Einstieg ins Studium zu unterstützen. Im dritten Studienjahr haben wir für alle Studierenden, die später experimentell arbeiten wollen, den Kurs «Mess- und Versuchstechnik» neu aufgezogen. Hier lernen die Studierenden theoretisch und praktisch die wichtigen Grundlagen des Experimentierens, Messens, kritischen Auswertens und der Messunsicherheitsbetrachtung.

««Unsere Aufgabe ist es, neue Technologien für die Stromübertragung und -verteilung zu erforschen und zu entwickeln, die auch gesellschaftlich akzeptiert werden.»»
Prof. Christian Franck

Was hat Sie zu diesem Gebiet geführt? Was fasziniert Sie daran?

Ich bin durch eine Reihe von Umwegen zur Hochspannungstechnik gekommen. Schon recht früh wusste ich, dass ich etwas technisch-naturwissenschaftliches machen wollte und habe mich für ein Physikstudium entschieden. Ein Schlüsselerlebnis war für mich eine Vorlesung von Klaus Heinloth zur «Energiefrage», die ich 1995 in Bonn im Grundstudium besucht habe. Diese hat mich so sehr fasziniert, dass ich von da an überzeugt war, im Bereich der erneuerbaren Energien arbeiten zu wollen. Es war allerdings schwierig eine gute Uni zu finden, in der dieses Thema wirklich visionär gedacht wurde. Nach dem Studium an zwei weiteren Unis in Edinburgh und Kiel mit Diplomabschluss, der Promotion am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik Greifswald und meiner Arbeit im ABB Forschungszentrum Baden-Dättwil bin ich dann 2010 an die ETH gekommen. Besonders spannend an diesem Gebiet finde ich die vielfältigen, interdisziplinären Bereiche, denen wir in unserer Forschung begegnen, von klassischer Elektrotechnik und Elektronik bis hin zu Materialstoffwissenschaften und Quantenchemie. In meinem Team forschen Mitarbeitende aus den Bereichen Elektrotechnik, Physik, Maschinenbau und Verfahrenstechnik. Es fasziniert mich, wie langfristig wichtig dieses Gebiet für die Entwicklung unserer Gesellschaft ist und wie anspruchsvoll und aktuell die Forschungsfragen sind, ohne dass ein grosser Hype darum gemacht wird. Das ist natürlich auch ganz wichtig für die Absolventen unserer Vertiefungsrichtung, die nach ihrem Studium oder Doktorat sowohl bei kleinen als auch grossen Firmen als Expertinnen und Experten sehr gefragt sind.

Welche Auswirkungen hat Ihre Forschung auf die Gesellschaft? Welche Herausforderungen sind derzeit die grössten in Ihrem Forschungsgebiet?

Auch wenn wir schon seit rund einem Jahrzehnt von der «Energiewende» sprechen, stehen wir immer noch am Anfang einer grundlegenden und umfassenden Änderung des kompletten Energiesystems. Der elektrischen Energie kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Weltweit benutzen wir immer noch einen tiefen zweistelligen Prozentsatz erneuerbarer Energie. Erst vor kurzem hat der Bundesrat die Ziele von einheimischer erneuerbarer Energieerzeugung bis 2050 um 50% erhöht. Das ist eine ungeheure gesellschaftliche Herausforderung. Hierbei geht es nicht nur um das elektrische Energiesystem, sondern auch um die Entkarbonisierung im Verkehr- und Gebäudebereich sowie der Industrie. Der Schlüssel ist immer die Verbindung zwischen Verbraucher und Quellen. Unsere Aufgabe ist es, neue Technologien für die Übertragung und Verteilung zu erforschen und mit zu entwickeln, die auch gesellschaftlich akzeptiert werden. So wird zum Beispiel eine Umnutzung bestehender Infrastruktur generell besser akzeptiert als ihr Neubau. Zudem werden Technologien mit geringerem Einfluss auf die Umwelt bevorzugt. Die entwickelten Technologien müssen hieb- und stichfest sein, da Investitionen in diesem Bereich immer langfristig sind. Wir haben selbst in schwierigen Zeiten viele Kooperationen mit unterschiedlichsten Industriepartnern. Das zeigt auch, dass an Universitäten Grundlagenforschung gemacht werden kann, die in den Firmen selbst nicht möglich ist. 

Corona teaching
Christian Franck filmt sich selbst für die Vorlesung "Experimental and Measurement Techniques"

Angesichts der sich rasch überschlagenden Entwicklungen rund um COVID-19 stehen Sie sicher vor noch ganz anderen grossen Herausforderungen. Könnten Sie uns diese beschreiben?

Das stimmt. Als überwiegend experimentell arbeitende Forschungsgruppe sind wir direkt betroffen und der Grossteil unserer Arbeiten kann nicht wie gewohnt ausgeführt werden. Trotzdem finden aber auch bei uns sehr viele Arbeiten am und mit dem Computer statt, so dass wir diese zunächst vorziehen und im Home-Office erledigen können. Unsere Teammeetings führen wir nach wie vor regelmässig durch, aber die Interaktion im direkten Austausch fehlt uns schon sehr. Man merkt erst jetzt, wie eng die Teams normalerweise zusammenarbeiten und sich austauschen. Das ist jetzt alles etwas komplizierter.

Wie sind Ihre ersten Erfahrungen mit den neuen Online-Vorlesungen und -Übungen? Wie reagieren die Studierenden auf die neue Situation?

Die meisten Studierenden sind sehr strukturiert und reagieren gut, auch wenn die neue Situation eine grosse Herausforderung ist. Alles kam so plötzlich und ohne Vorlauf, so dass sich jeder Dozent anders organisiert hat. Wir hatten das Glück, dass wir schon seit langem fast alles über «Moodle» regeln und dies jetzt einfach weiternutzen können. Vorlesungen über Zoom oder als Videoaufnahme sind zwar gut, aber kein vollständiger Ersatz für den direkten Austausch. Die Interaktion in den Vorlesungen leidet stark, aber vielleicht habe ich hier auch noch nicht die richtigen Möglichkeiten gefunden. Die grösste Herausforderung war unsere Vorlesung zu «Mess- und Versuchstechnik». Hier hätten die Studierenden in mehreren grossen Praktika das theoretisch Gelernte in Experimenten umsetzen und anwenden sollen. Stattdessen haben wir Dozenten uns nun selbst beim Durchführen der Experimente gefilmt. Die Studierenden analysieren dies dann und werten die Messdaten aus. Rund zwei Drittel der Studierenden führen die Vorlesung unter den neuen Umständen weiter und das Feedback ist sehr positiv. Mein persönliches Highlight ist der #StayAtHome-Versuch, den wir kurzfristig eingeführt haben. Hier sollen die Studierenden selbstständig einen Versuch mit zu Hause verfügbaren quantitativen Messmitteln planen und durchführen. Ich bin begeistert, wie kreativ die Gruppen waren. Die Experimente gehen von der Leitfähigkeitsbestimmung von Flüssigkeiten und Graphitpulver mit Magnetfeldsensoren im Smartphone bis hin zur Bestimmung der Gravitationskonstanten und der Wiederholung des Versuchs von Eratosthenes zur Bestimmung des Erdradius. In dieser Gruppe sind die Studierenden teilweise zu ihren Familien im Ausland zurückgekehrt und nutzen jetzt die räumliche Distanz als Vorteil.

Wird die Coronakrise die Lehre nachhaltig verändern? Denken Sie, dass Sie in Ihren Vorlesungen in Zukunft vermehrt digitale Lernumgebungen und -formen einsetzen werden?

Den Trend zur Digitalisierung in der Lehre gab es schon vorher, er wird durch die Krise beschleunigt und es zeigt sich nun auch, was funktioniert und was nicht. Die Situation unterstreicht zudem den besonderen Wert der direkten zwischenmenschlichen Kommunikation. Wir nutzen schon länger viele Online-Möglichkeiten, eine komplette Digitalisierung ohne physische Anwesenheit halte ich aber nach wie vor für wenig sinnvoll. Wir werden aber sicher vermehrt, vor allem bei der individuellen Förderung von Studierenden auf unterschiedlichem Lernniveau, ein Online-Aufgabenportfolio einsetzen. Ich denke, die Offenheit gegenüber neuen Lehrformen wird nach der Krise generell grösser sein. Es wird sich sicher eine gesunde Mischung zwischen digitalen Lernformen und dem direkten Austausch etablieren und festigen.

Professoren am D-​ITET

In unserer Interview-​Reihe geben Professoren am D-​ITET einen Einblick in ihre Forschung und ihre persönliche Motivation, in die Wissenschaft zu gehen.

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