«Wir messen, wo noch niemand gemessen hat»
Lukas Novotny, Professor für Photonik, erklärt im Interview, wie er mit seiner Forschung die Quantenmechanik in unsere makroskopische Welt hineintragen möchte.
Prof. Novotny, Was ist Ihr Forschungsschwerpunkt?
Mein Forschungsgebiet ist Licht. Und Licht hat, wie andere elektromagnetische Strahlung, viele Eigenschaften, die sich kontrollieren und nutzen lassen: Intensität, Frequenz, Phase, Polarisation, Kohärenz etc. Zudem lässt sich Licht sowohl als Welle, als auch als Partikel verstehen. Diese Dualität kann man mit keinem anderen Medium so wunderbar darstellen.
Unser Schwerpunkt liegt auf der Nanophotonik, das ist die Wechselwirkung von Licht und Materie auf der Nanometerskala. Einerseits nutzen wir Licht, um Nanostrukturen zu untersuchen und zu kontrollieren und andererseits nutzen wir Nanostrukturen, um Licht zu erzeugen, oder zu beeinflussen.
Was hat Sie zu diesem Gebiet geführt? Was fasziniert Sie daran?
Nach dem Schulabschluss dachte ich, ein Universitätsstudium wäre sicher gut, um die Verantwortung im Leben noch etwas hinauszuschieben (lacht). Da mir auch das Sozialleben wichtig war, habe ich mich zunächst ein wenig bei den Germanisten, Medizinern und Historikern umgesehen und dann eher zufällig mit Elektrotechnik an der ETH begonnen. Nachdem ich die Prüfungen im ersten Jahr eher schlecht als recht «überlebt» hatte, kam im zweiten Jahr dann das «Aha»-Erlebnis in der Physikvorlesung. Plötzlich hat es mich gepackt und nie mehr losgelassen! Besonders fasziniert hat mich die Herausforderung, mit Licht Strukturen aufzulösen, die kleiner sind als die Wellenlänge des Lichtes. Also Dinge abzubilden, die noch niemand gesehen hat.
Welche Auswirkungen hat Ihre Forschung auf die Gesellschaft?
Zum einen generieren wir mit Nanomaterialien optoelektronische Komponenten, z.B. Lichtquellen, Photodetektoren oder Modulatoren mit kleinsten Dimensionen. Dies bringt Vorteile in Bezug auf Schnelligkeit und Effizienz mit sich. Ziel ist es, Photonen – also Licht – auf den Computerchip zu bringen und dadurch die optische Verarbeitung von Information zu ermöglichen.
Andererseits können wir mit Licht die Freiheitsgrade von Materie beeinflussen und kontrollieren. So kann etwa der Strahlungsdruck von Licht mechanische Objekte in Bewegung setzen, wie das auch die Sonne mit den Satelliten macht. Kurzum, wenn wir ein Objekt beleuchten, um es zu messen, dann stören wir es. Wenn wir diese Rückwirkung kontrollieren können, dann können wir Messgenauigkeiten an das fundamentale Limit bringen.
Welche Herausforderungen sind derzeit die grössten in Ihrem Forschungsgebiet?
Unsere kontinuierliche Welt verliert sich, je kleiner wir gehen: Ströme werden zu Elektronen, Licht wird zu Photonen, Materie wird zu Atomen, und damit ändern sich auch die Spielregeln. Wir können unsere elektrischen, optischen und mechanischen Bauteile nicht weiter herunterskalieren und müssen umdenken. Die Quantenmechanik erlaubt uns, diesen Spielraum zu erweitern, denn die Regeln der Quantenwelt führen zu neuen Phänomenen und Materiezuständen. Sie erlaubt uns, ein Elektron, Photon oder Atom an mehreren Orten gleichzeitig zu haben. Entfernte Teilchen können miteinander verschränkt sein.
Diesen Freiheitsgrad haben wir bis jetzt nicht ausgenutzt. Wenn ein Teilchen an zwei Orten gleichzeitig ist, haben wir aus einem zwei gemacht und können dies nutzen. In meiner Forschung versuchen wir gegenwärtig, mit schwebenden Nanopartikeln genau das herzustellen.
Eine weitere Herausforderung hierbei ist, wie weit wir die Quantenmechanik in unsere makroskopische Welt hineintragen können. Dieses Kapitel ist noch nicht geschrieben; wie klassische und Quantenmechanik ineinander übergehen, dazu gibt es Theorien, aber wenig Experimente. Dies wollen wir nun untersuchen: Wann wird sich ein klassisches Objekt, z.B. ein Nanopartikel, das aus Milliarden von Atomen besteht, quantenmechanisch verhalten, so dass es an zwei Orten gleichzeitig existiert?
Seit Herbst 2019 bietet das D-ITET in Zusammenarbeit mit dem Departement Physik einen Masterstudiengang in «Quantum Engineering» an. Wie ist es dazu gekommen?
Wenn man so nachdenkt, wie sich das Ingenieurwesen entwickelt hat, bemerkt man, dass es früher einfach den Bereich der Naturwissenschaften gab. Irgendwann hat man gemerkt, dass man mit der Mechanik Anwendungen generieren kann. Als Folge hat sich der Maschinenbau von der Physik abgespalten. Später ist genau dasselbe mit der Elektrotechnik passiert, die aus dem Elektromagnetismus hervorgegangen ist. Nun war die Zeit reif für eine weitere Abspaltung: Mit dem Quantum Engineering als neuem Fachgebiet nehmen wir die Quantenmechanik und setzen sie in Technologien um, generieren also daraus ein eigenständiges Gebiet. Die Legitimierung dafür ist sehr gross: Es gibt bereits jetzt viele Produkte, die auf Quantentechnologie beruhen: von NMR (Kernspinresonanz) und Atomuhren bis zum Laser. Natürlich braucht es jedes Mal wieder Mut und Risikobereitschaft, ausgetretene Pfade zu verlassen und etwas völlig Neues zu wagen, aber es lohnt sich. Diesen Mut und Pioniergeist bringen unsere Studierenden mit.
Quantum Engineering umfasst Gebiete wie Sensorik, Informationsübertragung und Prozesssimulation. Theoretisch ist es auch möglich, leistungsfähige Quantencomputer zu bauen, mit denen z.B. viele mathematische Probleme leichter lösbar wären. Der Bereich Quantum Engineering ist breit gefasst und bezeichnet allgemein die Entwicklung von Technologien, die auf Gesetzen der Quantenmechanik beruhen.
«Natürlich braucht es jedes Mal wieder Mut und Risikobereitschaft, ausgetretene Pfade zu verlassen und etwas völlig Neues zu wagen, aber es lohnt sich! Diesen Pioniergeist bringen unsere Studierenden mit.»Prof. Lukas Novotny
Wie gefällt Ihnen die ETH als Forschungseinrichtung?
Ausgezeichnet! Wer über diese Hochschule klagt, kann noch nie anderswo gewesen sein! Als ich 2012 nach 16 Jahren in den USA an die ETH zurückkam, musste ich mich jedoch erst wieder an die hiesigen Gewohnheiten anpassen. Die Schweiz hat gerne Präzision und Perfektion. Das ist gut, aber dadurch kann der Freiheitsraum für Improvisation und Kreativität eingeschränkt werden. Wir müssen aufpassen, dass wir unseren Innovationsspielraum nicht verbauen und Regulierungen nicht die Oberhand gewinnen. Ein überreguliertes System macht keine Fehler, schafft aber auch nichts Neues!
Mit welchen Kolleginnen und Kollegen innerhalb und ausserhalb des Departements haben Sie Kooperationen?
Mit vielen Gruppen, u.a. Prof. Luisier, Prof. Leuthold, Prof. Benini, Prof. Wood usw. Auch mit Kollegen am D-PHYS und D-MAVT haben wir Kooperationen. Wissenschaft ist heute ein Teamsport, man muss zusammenspannen und sich ergänzen, um etwas zu bewegen. Die ETH ist ein sehr gutes Pflaster dafür: Die Expertise ist breit, die Forschungsgruppen top.
Wie setzt sich Ihre Gruppe zusammen? Sind Sie auf der Suche nach Doktoranden?
Wir sind ziemlich international aufgestellt, mit wissenschaftlichen Mitarbeitenden aus einem Dutzend Ländern. Ausserdem ist meine Gruppe, die gut 20 Personen umfasst, sehr interdisziplinär ausgerichtet. Etwa die Hälfte hat Physik studiert, die andere Ingenieurwissenschaften, und auch aus dem Bereich Biomedizin sind Leute mit dabei. Jetzt, in Coronazeiten, setzen sich alle sehr fürs Allgemeinwohl ein. Das ist schön zu sehen! Wir suchen immer motivierte Doktoranden, aber momentan nicht händeringend.
Welche Vorlesungen halten Sie in diesem und im nächsten Semester?
Dieses Semester bin ich nur am Rande beteiligt. Und zwar an den «Case Studies» im erwähnten Master in Quantum Engineering und an der «Nano-Optics»-Vorlesung, ebenfalls auf Masterstufe, die Dr. Martin Frimmer dieses Jahr liest. Nächstes Semester halte ich die Vorlesung «Elektromagnetische Felder und Wellen» für das zweite Jahr des Bachelor-Studiengangs. Zudem entwickle ich gerade noch eine neue Vorlesung aus dem Bereich «Coupled Mode Theory», die einen eleganten Übergang von der klassischen in die Quantenwelt schafft.
Ausgezeichnete Synergien in der Quantenforschung
Lukas Novotny und Romain Quidant (D-MAVT) haben zusammen mit Forschern der Universitäten Wien und Innsbruck einen hochdotierten ERC Synergy Grant erhalten. In ihrem Projekt Q-Xtreme werden sie erstmals ein Objekt mit einem Durchmesser von 100 Nanometern in einen Quantenüberlagerungszustand versetzen. ETH-News lesen
Das neue ETH Quantum Center
Lukas Novotny ist Gründungsmitglied des neuen ETH Quantum Centers, in dem zurzeit 28 Forschungsgruppen aus sechs ETH-Departementen und dem Paul Scherrer Institut (PSI) vertreten sind. ETH-News lesen
Professoren am D-ITET
In unserer Interview-Reihe geben Professoren am D-ITET einen Einblick in ihre Forschung und ihre persönliche Motivation, in die Wissenschaft zu gehen.