«In meiner Forschung geht es zentral um mathematisches Verständnis»

Hans-Andrea Loeliger ist Professor am Institut für Signal- und Informationsverarbeitung. Im Interview spricht er über Grundlagenforschung in der Signalverarbeitung.

von Katja Abrahams-Lehner

Prof. Loeliger, was ist Ihr Forschungsschwerpunkt?

Prof. Loeliger

Ich befasse mich hauptsächlich mit Grundlagenproblemen im Bereich «Signale, Systeme, Information, Kommunikation». Beispielsweise haben wir in den letzten Jahren einen neuen Ansatz zur digitalen Erfassung von analogen Signalen entwickelt. In einem anderen Projekt untersuchen wir in einem mathematischen Modell, wie rückgekoppelte neuronale Netzwerke dynamische Inhalte, so genannte Feuersequenzen, speichern können.

Was hat Sie zu diesem Gebiet geführt?

Ich habe als Teenager mit Elektronik gebastelt, später auch mit Computern. Für mich war eigentlich immer klar, dass ich Elektroingenieur werden wollte. Im Studium habe ich dann meinen jetzigen Forschungsbereich kennengelernt, wo es zentral um mathematisches Verständnis geht. Das fand und finde ich faszinierend.

Fetal Heart Beat
EKG-Analyse einer schwangeren Frau. Die Herzschläge der Kindes werden von den Herzschlägen der Mutter teilweise verdeckt. Die Herausarbeitung der verdeckten Details ist eine typische Aufgabe der Signalverarbeitung. [ Aus der Dissertation https://doi.org/10.3929/ethz-b-000176652 ]  

Sie haben selbst an der ETH Zürich Elektrotechnik studiert. Woran erinnern Sie sich besonders gerne zurück?

Während meines Studiums waren die Gebäude ETZ und ETL noch ganz neu. Lustigerweise sitze ich heute wieder im gleichen Büro im ETF-Gebäude wie vor über 30 Jahren als Doktorand. Damals stand in einer Ecke noch ein grosser Faradayscher Käfig zur Abschirmung elektromagnetischer Strahlen.

Was sind die grössten Veränderungen und Entwicklungen in Ihrem Gebiet seit Ihrem Studienabschluss?

Mein Diplom als Elektroingenieur habe ich 1985 gemacht, da gab es noch kein Internet im heutigen Sinn und keine digitalen Mobiltelefone. Wenn man damals ein elektronisches Gerät geöffnet hat, konnte man noch viele Bauteile direkt sehen und die Signale mit Messgeräten abgreifen. Die heutigen Studierenden haben diese Möglichkeit nicht mehr.

Welche Auswirkungen hat Ihre Forschung auf die Gesellschaft?

In meiner Anfangszeit als Forscher habe ich vor allem an fehlerkorrigierenden Codes gearbeitet. Solche Codes – wenn auch nicht meine – sind heute unentbehrliche Bestandteile unserer digitalen Infrastruktur: Jeder Laptop und jedes Mobiltelefon beinhalten mehrere Systeme, die mit solchen Codes arbeiten.

Ein anderes Beispiel: Einer meiner Doktoranden hat in Zusammenarbeit mit dem Inselspital in Bern eine Methode entwickelt, um die elektrische Aktivität des menschlichen Herzens mittels einer Sonde in der Speiseröhre aufzunehmen. So eine Sonde liegt näher am Herzen als die üblichen Elektroden aussen am Körper und funktioniert auch während einer Operation, was klinisch interessant ist. Die Anforderungen an die Signalverarbeitung sind allerdings enorm. Der Doktorand hat dazu eine ganze Reihe von neuen Methoden entwickelt und tatsächlich alles zum Funktionieren gebracht.

Welche Herausforderungen sind derzeit die grössten in Ihrem Forschungsgebiet?

Ich gebe Ihnen zwei Beispiele, die ich persönlich interessant finde.

Das erste Beispiel ist die Interpretation von Sensordaten ganz allgemein, etwa: «Was sieht diese Kamera hier alles?» oder «Was hören meine Mikrophone hier eigentlich?» Trotz grosser Fortschritte bleibt das Thema eine riesige Herausforderung.

Das zweite Beispiel ist die Frage, wie biologische neuronale Netze aus der Sicht des Ingenieurs funktionieren. Diese Frage ist weitgehend offen. Künstliche neuronale Netze haben zwar eindrückliche Erfolge erzielt, aber viele Leistungen des biologischen Vorbilds sind unverstanden und scheinen technisch noch in weiter Ferne zu liegen. In beiden Beispielen ist die Herausforderung aus meiner Sicht vor allem intellektuell, nicht technologisch.

««Wichtig ist, dass wir nicht naiv technikgläubig sind.»»
Prof. Hans-Andrea Loeliger

Wie gefällt Ihnen die ETH als Forschungseinrichtung?

Ganz ausgezeichnet. Wir haben sehr gute Studierende und Doktorierende, wir haben eine grosszügige Grundfinanzierung, und man lässt uns grosse Freiheit in der Forschung. So soll es sein!

Mit welchen Kolleginnen und Kollegen innerhalb und ausserhalb des Departements haben Sie Kooperationen?

Im Moment haben wir ein kleines Projekt mit einem Doktoranden von Prof. Richard Hahnloser, dabei geht es um die Analyse der Rufe von Schwertwalen im Nordatlantik. Vor einigen Jahren hatten wir z.B. eine Zusammenarbeit mit Prof. Fäh am Departement Erdwissenschaften. Und letztes Jahr hat eine gemeinsame Doktorandin mit Prof. Dillier am Universitätsspital Zürich mit einem Projekt über Hörgeräte abgeschlossen.

Wie ist Ihre Gruppe zusammengesetzt? Sind Sie auf der Suche nach Doktoranden?

Ich habe normalerweise fünf bis sieben Doktoranden, die ich in der Regel selbst direkt betreue. Dieses Jahr sind tatsächlich noch Stellen offen.

Vergrösserte Ansicht: Group Prof. Loeliger
Prof. Loeliger und seine Gruppe während einer Videokonferenz.

Welche Vorlesungen halten Sie in diesem und im nächsten Semester?

Im Frühlingssemester: «Algebra and Error Correcting Codes» und «Advanced Signal Analysis, Modeling, and Machine Learning», beides auf Masterstufe. Im Herbstsemester: «Discrete-time and Statistical Signal Processing und «Introduction to Estimation and Machine Learning».

Wird die Coronakrise die Lehre nachhaltig verändern? Denken Sie, dass Sie in Ihren Vorlesungen in Zukunft vermehrt digitale Lernumgebungen und -formen einsetzen werden?

Am wichtigsten in der Lehre ist, dass die Inhalte durchdacht sind und bleiben. Technologie spielt natürlich eine Rolle bei der Vermittlung. Wie sich das nach Corona neu einpendelt, werden wir sehen; ich mache mir schon Gedanken dazu. Wichtig ist, dass wir nicht naiv technikgläubig sind und dass wir uns von der Technik nicht bevormunden lassen.

Top

Professoren am D-​ITET

In unserer Interview-​Reihe geben Professoren am D-​ITET einen Einblick in ihre Forschung und ihre persönliche Motivation, in die Wissenschaft zu gehen.

Weitere Interviews

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert