«In der Nanoelektronik arbeiten wir ähnlich wie Architekten»
Prof. Mathieu Luisier leitet die «Computational Nanoelectronics»-Gruppe am Institut für Integrierte Systeme. In unserem Interview spricht der Gewinner der «Goldenen Eule 2020» über die Herausforderungen der Nanotechnologie und wie er als ehemaliger D-ITET-Absolvent das Departement und dessen Entwicklung wahrnimmt. Im Frühjahrssemester hält er u.a. die Vorlesung «Applications of Thermal Modeling: From Hot Atoms to Heated Tissues», in der es noch freie Plätze gibt. Vorbeikommen lohnt sich!
Prof. Luisier, was ist Ihr Forschungsschwerpunkt?
Offiziell heisst meine Professur «Rechnergestützte Modellierung von nanoskaligen Bauelementen», die englische Beschreibung «Computational Nanoelectronics» trifft es aber meiner Meinung nach besser.
Konkret entwickeln wir physikalische Modelle und implementieren sie in einem von uns entwickelten Simulator, um das Verhalten von elektrischen, optischen und thermischen Bauelementen zu untersuchen, wie zum Beispiel Transistoren, Leuchtdioden oder Speicherzellen. Unser Ziel ist es, die Eigenschaft solcher Nanostrukturen vorauszusagen, bevor sie hergestellt werden. Damit wollen wir die Arbeit experimenteller Forschungsgruppen unterstützen. Unsere Rolle ist der eines Architekten sehr ähnlich: Bevor ein Haus gebaut wird, wird es virtuell auf einem Computer konstruiert. Das Gleiche machen wir für den Entwurf von nanoskaligen Bauelementen, mit dem Unterschied, dass wir die nötige Software selbst entwickeln.
Was hat Sie zu diesem Gebiet geführt?
Der Zufall! Während der Mittelschule habe ich beim lokalen Elektrizitätsversorger meiner Heimatgemeinde gearbeitet. Dadurch wurde bei mir vor allem das Interesse an Energieübertragung geweckt. Als ich dann Student an der ETH war, habe ich mich für optoelektronische Bauelemente begeistert und wollte meine Kenntnisse in diese Richtung vertiefen. Deshalb habe ich eine Vorlesung zu diesem Thema ausgesucht. Angekündigt war Prof. Heinz Jäckel als Dozent. Erschienen ist aber Prof. Wolfgang Fichtner, einer der Pioniere der rechnergestützten Modellierung von Bauelementen. Seine Arbeit hat mich sehr fasziniert. Bei ihm habe ich dann eine Semesterarbeit, meine Diplomarbeit und auch noch meine Dissertation absolviert.
Was sind aus Ihrer Sicht die grössten Veränderungen und Weiterentwicklungen am Departement seit Ihrem Studienabschluss?
Seit meinem Studienabschluss 2003 ist das Departement grösser geworden, und es kamen neue Forschungsthemen und Vorlesungen hinzu, zum Beispiel in den Gebieten hardware security, distributed computing, neurosciences, ultra-low-power electronics, bioelectronics etc. Während meines Studiums war ich als «Romand» schon fast ein Exot, heute gibt es viel mehr Diversität, sowohl bei den Studierenden als auch in der Professorenschaft. Auch die Struktur des Studiums hat sich verändert: Ich gehöre zur letzten Generation, die ein Diplom statt eines Master-Abschlusses gemacht hat.
Mit unserer Forschungsaktivität können wir den Entwurf von heutigen und zukünftigen Transistoren vereinfachen, vor allem im Nanometerbereich, in dem auch quantenmechanische Effekte zum Tragen kommen. Prof. Mathieu Luisier
Welche Auswirkungen hat Ihre Forschung auf die Gesellschaft?
Ich denke, dass unsere Forschung auf jeden Fall einen indirekten Einfluss hat: Wir leiden zurzeit an einem Mangel an elektronischen Komponenten. Einer der Gründe dafür ist, dass weltweit nur noch drei Firmen «state-of-the-art» integrierte Schaltungen herstellen können (Intel, Samsung und TSMC), weil diese Aufgabe so komplex und teuer geworden ist. Als ich in diesem Feld angefangen habe, gab es noch mehr als 20 Unternehmen. Mit unserer Forschungsaktivität können wir den Entwurf von heutigen und zukünftigen Transistoren vereinfachen, vor allem im Nanometerbereich, in dem auch quantenmechanische Effekte zum Tragen kommen. Diese Bauelemente bilden den Kern aller integrierten Schaltungen.
Welche Herausforderungen sind derzeit die grössten in Ihrem Forschungsgebiet?
Wir möchten nanoskalige Bauelemente so genau wie möglich simulieren, damit unsere Prognosen der Wirklichkeit entsprechen. Wie bei Wetterprognosen müssen wir dazu viele Annahmen machen, um die Simulationsrechenzeiten niedrig zu halten. Aus diesem Grund kann es passieren, dass wir gewisse Effekte unter- oder überschätzen, was problematisch sein kann. Wenn das passiert, müssen wir unsere Modelle verbessern, damit wir die Messungen, die uns zur Verfügung stehen, reproduzieren können – wenn nicht quantitativ, dann wenigstens qualitativ.
Eine Herausforderung für die gesamte Branche ist der bereits angesprochene derzeitige Mangel an elektronischen Bauelementen, für den der von der EU initiierte «Chips-Act» zur Förderung von Entwicklung und Produktion von Mikrochips in Europa ein Lösungsansatz sein könnte. Ich hoffe, dass diese Massnahme die Halbleiterindustrie und das gesamte dazugehörige Ökosystem, von der Ausbildung von qualifiziertem Personal bis hin zur Herstellung, in Europa stärken wird.
Wie gefällt Ihnen die ETH als Forschungseinrichtung?
Sehr. Wir haben eine fast unbegrenzte Freiheit: Wir können selbst entscheiden, welche Forschungsprojekte wir durchführen, welche Vorlesungen wir halten, mit wem wir an der ETH oder ausserhalb zusammenarbeiten und wie unsere Gruppe gestaltet ist. Ich kann nicht beurteilen, wie es an anderen Universitäten ist, aber ich kann behaupten, dass ich an der ETH optimale Rahmenbedingungen für meine Arbeit gefunden habe.
Mit welchen Kolleginnen und Kollegen innerhalb und ausserhalb des Departements haben Sie Kooperationen?
Es würde zu lange dauern, alle Kollaborationen aufzulisten (lacht). Ich werde mich auf die in der Nähe von Zürich beschränken. Im Departement arbeite ich mit fast allen Kollegen und Kolleginnen zusammen, die Bauelemente herstellen, wie zum Beispiel Prof. Bolognesi, Grossner, Leuthold, Novotny, Wood und Yarema. Daneben habe ich mit Prof. Benini und Prof. Hoefler vom D-INFK an der Optimierung von numerischen Algorithmen gearbeitet. Das hat uns geholfen, unseren in-house Bauelementsimulator zu beschleunigen. Zusätzlich gibt es noch Kollaborationen mit ein paar Firmen, wie z.B. IBM und SPEAG.
Wie ist Ihre Gruppe zusammengesetzt? Sind Sie auf der Suche nach Doktoranden?
Meine Gruppe gliedert sich in fünf Sub-Gruppen. Ich habe die Verantwortung für alle, vier davon werden von je einem Wissenschaftler betreut, die letzte von mir persönlich. Hier ein Überblick: Die «Device Physics»-Gruppe von Prof. Andreas Schenk, die «Physical Characterization»-Gruppe von Dr. Mauro Ciappa, die «Brain-inspired Devices and Circuits»-Gruppe von Dr. Alexandros Emboras, die «Analog Circuit»-Gruppe von Dr. Thomas Burger und zu guter Letzt meine eigene «Nano-device Simulations»-Gruppe. Insgesamt haben wir ungefähr 20 Doktorierende und drei Post-Docs. Ein bisschen weniger als die Hälfte kommt aus der Schweiz, der Rest aus Europa und der ganzen Welt.
Welche Vorlesungen halten Sie in diesem und im nächsten Semester?
In diesem Semester halte ich zwei Vorlesungen: «Semiconductor Devices: Quantum Transport at the Nanoscale». Das ist eine Vorlesung im Masterstudium. Ich gebe sie seit zehn Jahren und habe damals mit zehn Studierenden angefangen. Heute sind es mehr oder weniger 40.
Zusammen mit Dr. Esra Neufeld von der IT’IS Foundation werden wir zum dritten Mal die Vorlesung «Applications of Thermal Modeling: From Hot Atoms to Heated Tissues» halten. Es ist eine sehr spannende Vorlesung, in der wir zeigen, wie Wärme genau kontrolliert werden kann/muss, um Tumore zu bekämpfen oder um elektronische Bauelemente optimal zu betreiben.
Im Herbstsemester halte ich für die Erstsemestrigen zusammen mit Dr. Alexandros Emboras die «Digitaltechnik»-Vorlesung und das begleitende Praktikum dazu.
Wird die Coronakrise die Lehre nachhaltig verändern? Denken Sie, dass Sie in Ihren Vorlesungen in Zukunft vermehrt digitale Lernumgebungen und -formen einsetzen werden?
Ich glaube schon. In der Zukunft werden sehr wahrscheinlich weiterhin viele Vorlesungen aufgezeichnet werden. Gerade für grosse Lehrveranstaltungen könnte es für einige Studierenden sogar besser sein, wenn sie zu Hause lernen können und nur an die ETH kommen müssen, um Praktika, P&S etc. zu absolvieren oder um Vorlesungen zu hören, die sich nicht optimal online übertragen lassen. Ich persönlich komme gut mit dem hybriden Format zurecht.