«Ich möchte die Qualität der Patientenversorgung verbessern»

In unserem Interview spricht Ender Konukoglu, Professor am Computer Vision Lab (CVL), über seine Forschung an der Schnittstelle zwischen Medizin und Technik und über die Herausforderungen, die sich bei der Verbindung dieser beiden zukunftsweisenden Bereiche ergeben. 

von Stefanie Pfennigbauer

Prof. Konukoglu, was ist Ihr Forschungsschwerpunkt?

Prof. Ender Konukoglu

Mein Hauptforschungsgebiet ist die biomedizinische Bildanalyse. Wir schreiben Algorithmen, um biomedizinische Bilder zu interpretieren mit dem Ziel, sie so nützlich wie möglich für Anwendungen im Gesundheitswesen zu machen.

Dabei gibt es zwei Aspekte: Der eine ist die Anwendung und die Tatsache, dass das Gesundheitswesen generell immer datengetriebener geworden ist. Der Vorteil ist, dass die Medizin auf diese Weise weniger von der Erfahrung einer einzelnen Person, zum Beispiel eines Arztes, abhängt, was im Allgemeinen zu einer genaueren und präziseren Behandlung führt. Der Nachteil ist jedoch, dass die Datensätze sehr gross sind. Daher verwenden wir Techniken des maschinellen Lernens, um sie besser zugänglich und verwaltbar zu machen.

Der zweite Aspekt ergibt sich aus dem wissenschaftlichen Problem und dem Wunsch zu verstehen, wie die menschliche Wahrnehmung funktioniert. Die medizinische Bildgebung ist eine fantastische Anwendung dafür, denn wir möchten wissen, warum Dinge, die für uns so einfach scheinen, für einen Computer so schwierig sind.

Was hat Sie zu diesem Gebiet geführt? Was fasziniert Sie daran?

Ich habe an der Istanbuler Bogazici-Universität Elektrotechnik studiert und finde es ein sehr cooles Fachgebiet (lacht). Ausserdem hat mich das Gesundheitswesen interessiert, weil es ein so grosser Bereich ist, der das Leben jedes Menschen früher oder später berührt. Meine persönliche Meinung ist, dass die Art und Weise, wie es jetzt funktioniert, verbessert werden kann – und die Elektrotechnik kann dazu viel beitragen. Ich befinde mich also wirklich am Schnittpunkt dieser beiden Bereiche. Ich hatte auch das Glück, an der Universität wirklich gute Dozierende zu haben, die mein Interesse an diesem Gebiet geweckt haben.

«Wir setzen maschinelles Lernen seit 2009 intensiv ein, weil es derzeit die beste Möglichkeit ist, Wissen algorithmisch zu «kodieren».»
Prof. Ender Konukoglu

Welche Auswirkungen hat Ihre Forschung auf die Gesellschaft? Und was sind derzeit die grössten Herausforderungen?

Die wichtigste Auswirkung ist die Verbesserung der Patientenversorgung, d.h. verbesserte Diagnose, Behandlung, Prävention usw. Um diese Ziele zu erreichen, kann man viel machen; ich habe mich für den Fokus auf medizinische Bilder entschieden und versuche, diese mit Hilfe von Maschinen zu interpretieren. Maschinen haben ihre Vorteile: ihre Genauigkeit, ihr hoher Datendurchlauf und ihre Unempfindlichkeit gegenüber Ermüdungserscheinungen. All diese Faktoren führen zu einer Steigerung der Effizienz und zu einer Senkung der Kosten im Gesundheitswesen. In einem grösseren Zusammenhang möchten wir Computer dazu bringen, komplexe Probleme besser zu verstehen, ihnen logisches Denken beizubringen etc. - da gibt es noch viel zu tun!

Eine der grössten Herausforderungen ist, die Patienten davon zu überzeugen, dass das, was wir tun, zu ihrem Nutzen ist. Alle Technologien haben gute und schlechte Seiten, aber wir möchten Argumente gegen Skepsis und falsche Gerüchte aufbringen. Unter der richtigen Regulierung und Gesetzgebung kann unsere Technologie so viel Gutes bewirken. Wir haben derzeit Kooperationen mit dem USZ, der Uniklinik Balgrist und einigen anderen Institutionen, aber es ist noch ein grosser Schritt, das gesamte Gesundheitssystem davon zu überzeugen, Daten zugänglich zu machen. Dies betrifft auch Versicherungen, Firmen, Regierungen und natürlich auch Patienten. In der Schweiz sind die Menschen sehr offen für neue Technologien, andererseits möchen sie aber auch ihre Privatsphäre schützen.

Sie nutzen Methoden des maschinellen Lernens, um die biomedizinische Bildgebung zu verbessern. Können Sie uns mehr dazu sagen?

Es ist schwierig, mehr darüber zu sagen, ohne zu sehr ins Detail zu gehen (lacht). Wir setzen maschinelles Lernen seit 2009 ausgiebig ein, weil es derzeit die beste Möglichkeit ist, Wissen algorithmisch zu «kodieren». Vereinfacht gesagt, möchten wir zum einen nachbilden, was ein Radiologe macht, zum Beispiel Knoten erkennen. Zweitens konzentrieren wir uns auf das, was ein Radiologe nicht tun kann, zum Beispiel die Qualität der Bilder zu verbessern und grosse Datensätze miteinander zu kombinieren.

Ender group
Prof. Ender Konukoglus Gruppe

Mit welchen Kolleginnen und Kollegen innerhalb und ausserhalb des Departements haben Sie Kooperationen?

Wir arbeiten viel mit Prof. Van Gool und Prof. Göksel aus unserem Computer Vision Lab zusammen. Ausserhalb unseres Instituts habe ich Kooperationen mit Prof. Kozerke, Prof. Stampanoni, Prof. Prüssmann und Prof. Stephan aus dem Institut für Biomedizinische Technik. Das D-ITET ist top im Bereich biomedizinische Bildgebung im Allgemeinen. Über diesen Forschungsbereich hinaus arbeite ich mit Prof. Wood an der Bildgebung von Batterien. Auf ETH-Ebene arbeiten wir mit dem D-INFK zusammen, z.B. mit Prof. Pollefeys und Prof. Buhmann sowie mit Prof. Wolfrum vom D-HEST. Die ETH ist sehr stark im Gesundheitswesen, das bietet also viele Möglichkeiten. Ich bin auch am Flaggschiffprojekt SURGENT in Zusammenarbeit mit der Uniklinik Balgrist beteiligt. Unsere Aufgabe in dem Projekt ist es, Bilder zu interpretieren und zu analysieren und zu versuchen, Modelle und Simulationen zu erstellen, die dem Chirurgen während der Operation helfen. Dies ist vor allem bei sehr sensiblen Operationen, wie der unteren Lendenwirbelsäule, hilfreich.

Wie gefällt Ihnen die ETH als Forschungsinstitution?

Die ETH ist toll! Ich kenne nicht viele andere Institutionen, die einem so viel Flexibilität, aber auch gleichzeitig die finanziellen Mittel geben. Und ich war schon an mehreren Orten, sowohl in der Industrie als auch in der Forschung, von Microsoft Research bis zur Harvard Medical School. Jede Einrichtung hat ihre Vorteile, aber ich würde die ETH immer vorziehen! Dazu kommt, dass die Studierenden einfach sehr gut und motiviert sind.

Wie ist Ihre Gruppe zusammengesetzt? Suchen Sie derzeit Doktorierende?

Ich habe derzeit sieben Doktorierende, fünf davon werden von mir ausschliesslich betreut und zwei davon in Co-Betreuung mit Luc Van Gool bzw. Marc Pollefeys. Ausserdem habe ich normalerweise zwei oder drei Postdocs - meine Gruppe umfasst also etwa zehn Personen. Die Gruppe ist sehr international und verfolgt das Ziel, ein Verhältnis von 50/50 Frauen und Männer zu erreichen, wobei die Mehrheit einen elektrotechnischen oder physikalischen Hintergrund hat. Die meisten haben eine Ausbildung in Elektrotechnik oder Physik. Zurzeit haben wir keine offenen Stellen, aber bei hervorragenden Bewerbungen könnten sich Möglichkeiten ergeben.

Welche Vorlesungen halten Sie dieses und nächstes Semester? Wird die Coronakrise die Lehre nachhaltig verändern?

Normalerweise unterrichte ich jedes Jahr Computer Vision zusammen mit Luc Van Gool und Fisher Yu, eine grosse Vorlesung mit etwa 300 Studierenden. In diesem Semester unterrichte ich medizinische Bildanalyse, eine kleinere Veranstaltung mit 60 bis 70 Studierenden sowie einen kleineren Kurs zu Biomedical Image Computing. Ich bin auch am Certificate of Advance Studies (CAS) in Applied Information Technology mit einem Modul über «Mensch und Maschine» beteiligt, was eine interessante Erfahrung ist, da der Hintergrund der Studierenden sehr unterschiedlich ist.

Bezüglich Corona: Für die Lehre denke ich, dass es einen nachhaltigen Einfluss haben wird, da so viel online gegangen ist. Ich persönlich denke, dass ich weiterhin streamen werde, auch nach der Pandemie. Es ist im Grunde zusätzliches Material für die Studierenden. Auch das, was neben dem Unterricht passiert, die Slack-Kanäle, die Moodle-Plattformen etc. werden aus meiner Sicht alle weiterlaufen. Ein negativer Aspekt ist, dass der Fernunterricht den Studierenden und auch mir nicht so viel Spass macht. Was die Forschung angeht, so lässt sich z.B. ein Brainstorming nicht so einfach online reproduzieren, und das ist ein Verlust. Ich hoffe, dass wir hier irgendwann wieder zu früheren Gewohnheiten zurückkehren können. Auch die Notwendigkeit zu reisen hat abgenommen, wobei es auch hier ein differenziertes Bild ist: Das Reisen zu Konferenzen macht Spass und ist eine gute Möglichkeit, neue Leute kennenzulernen – das Reisen zu Meetings wird hoffentlich in der jetzt sehr reduzierten Form erhalten bleiben - ich vermisse es nicht , schon allein nur aus Gründen der Zeitersparnis, und auch der Umwelt wegen.

SURGENT (Surgeon Enhancing Technologies) hat zum Ziel, neue Standards für die patientenspezifische Planung und Durchführung von Präzisionsoperationen in der Wirbelsäulen- und Neurochirurgie zu etablieren. Das höchst interdisziplinäre Projekt steht an der Schnittstelle von Chirurgie, biomedizinischer Bildgebung, Computerwissenschaften und Ingenieurwesen. Es führt alle diese Bereiche für die Entwicklung, Integration, Optimierung und klinische Validierung modernster Technologien zur Verbesserung der chirurgischen Fähigkeiten zusammen und bettet sie in effiziente und wirtschaftliche klinische Arbeitsabläufe zum Wohle des Patienten ein.

externe SeiteSURGENT Projekt-Website

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