«Mein Herz hängt an der Herzbildgebung»
Sebastian Kozerke, Professor am Institut für Biomedizinische Technik (IBT), erläutert im Interview, wie die Magnetresonanzbildgebung und personalisierte «digitale Zwillinge» in Zukunft in der Diagnostik und bei Krankheitsvorhersagen helfen können. Ausserdem spricht er darüber, was er an seinem Amt als Studiendirektor am D-ITET besonders schätzt und outet sich als Liebhaber von Toblerone-Mousse im Dozentenfoyer.
Prof. Kozerke, Was ist Ihr Forschungsschwerpunkt?
Die Forschung meiner Gruppe widmet sich der Entwicklung der Magnetresonanz (MR)-Bildgebung und -spektroskopie für die Herzkreislaufdiagnostik und -modellierung. Wir arbeiten an der Grenzfläche zwischen Elektrotechnik, Physik, Informatik und Medizin, um Datenaufnahme, -rekonstruktion, -verarbeitung und deren klinische Anwendungen weiterzuentwickeln. Dies schliesst Forschung u.a. bei sehr tiefen Temperaturen, Simulationen, Maschinelles Lernen, Experimente, aber auch Studien an Proband:innen und Patient:innen mit ein. Basierend auf unseren Daten entwickeln wir neuartige Verfahren, die uns detailliertere Einblicke in Anatomie und Funktion des Herzkreislaufsystems ermöglichen. Damit können wiederum personalisierte digitale Zwillinge erstellt werden, d.h. patientenspezifische Organmodelle, mit deren Hilfe z.B. Krankheitsvorhersagen und virtuelle Interventionen möglich werden.
Was hat Sie zu diesem Gebiet geführt?
Nach meinem Vordiplom in Elektrotechnik an der TU Berlin fand ich Gefallen am Gedanken, im Bereich der Biomedizinischen Technik zu arbeiten und ich habe entsprechende Fächerkombinationen in meinem Masterstudium an der Universität Karlsruhe (heute KIT) gewählt. Darüber hinaus haben mich medizinische Fragestellungen rund um das Herzkreislaufsystem interessiert und ich konnte in diesem Bereich zusätzlich Lehrveranstaltungen besuchen. Für mich war und ist diese Kombination faszinierend, da die Natur uns zeigt, wie effizient komplexe und gleichzeitig sehr flexible und robuste Systeme konstruiert werden können. Während meiner Diplomarbeit hier am Institut für Biomedizinische Technik, habe ich mich mit sogenannten Aktiven Konturen, einer Methode für die Segmentation von MR-Bildern beschäftigt. Im Anschluss erhielt ich die Möglichkeit, bei Prof. Peter Bösiger meine Doktorarbeit auf dem Gebiet der Magnetresonanzbildgebung durchzuführen. Seither hängt mein Herz an der Herzbildgebung.
Welche Auswirkungen hat Ihre Forschung auf die Gesellschaft?
Unser Ziel ist es, Störungen im Herzkreislaufsystem früher und genauer zu diagnostizieren, um so zu helfen, Krankheiten effizienter zu behandeln oder auch neue Therapieansätze zu entwickeln. Schnellere und genauere Verfahren haben daneben auch eine ökonomische Komponente, da sei dazu beitragen, Kosten im Gesundheitssystem zu reduzieren. Wir sehen auch Möglichkeiten, Informationen besser nutzbar zu machen, in dem z.B. jeder Patient seinen digitalen Zwilling auf seiner Krankenversicherungskarte mit sich trägt und so u.a. erneute Messungen vermieden bzw. Interventionen gezielter vorbereitet werden können.
Welche Herausforderungen sind derzeit die grössten in Ihrem Forschungsgebiet?
Das Thema der künstlichen Intelligenz im Bereich der medizinischen Diagnostik hat ein enormes Momentum entwickelt. Gleichzeitig wird offensichtlich, dass ein tiefes Verständnis dessen, was mittels Bildgebung kodiert werden kann – und was eben nicht kodiert wird – von essenzieller Wichtigkeit ist. So können Fehlinterpretationen oder sogenanntes «Overfitting», bei dem ein Modell an vorgegebene Datensätze angepasst wird, vermieden werden. Neben der Weiterentwicklung der Informationskodierung und -rekonstruktion in der MR-Bildgebung ist daher auch das Thema der «physics-informed neural networks» ein spannendes Arbeitsfeld, um (bio)physikalische Gesetzmässigkeiten in den Bereich der künstlichen Intelligenz zu integrieren. Darüber hinaus geht es in unserer Forschung darum, die Magnetresonanzbildgebung autonomer zu gestalten, so dass dieses Diagnostikverfahren nicht nur in den hochentwickelten Ländern, sondern auch in der sich entwickelnden Welt, zur Verfügung gestellt werden kann.
«Das Thema der künstlichen Intelligenz im Bereich der medizinischen Diagnostik hat ein enormes Momentum entwickelt. Gleichzeitig wird offensichtlich, dass ein tiefes Verständnis dessen, was mittels bildgebender Diagnostik kodiert werden kann – und was eben nicht kodiert wird – von essenzieller Wichtigkeit ist.»Prof. Sebastian Kozerke
Wie gefällt Ihnen die ETH als Forschungseinrichtung?
Die sehr flache Hierarchie, die grosse Kollegialität am Institut, im Departement und in der gesamten ETH, die Nähe zur Universität und zum Universitätsspital Zürich, die Toblerone-Mousse im Dozentenfoyer und der gelegentliche Blick aus meinem Büro auf den Uetliberg sind unschlagbare Argumente für die ETH als Arbeitgeberin.
Mit welchen Kolleg:innen innerhalb und ausserhalb des Departements haben Sie Kooperationen?
Innerhalb des Departements arbeiten wir mit Klaas Prüssmann, Marco Stampanoni und Ender Konukoglu zusammen an der Weiterentwicklung der medizinischen Bildgebung und -verarbeitung. Mit dem D-ITET Zentrum für projektbasiertes Lernen (PBL) und seinem Leiter Michele Magno besteht eine Kooperation auf dem Gebiet der Detektion von physiologischen Signalen mittels Radarsysteme. Auf dem Gebiet der dynamischen Kernpolarisierung bei tiefen Temperaturen (-272 Grad Celsius) arbeiten wir mit Matthias Ernst in der Physikalischen Chemie (D-CHAB) zusammen. Darüber hinaus besteht eine sehr enge und äusserst erfolgreiche Zusammenarbeit mit klinischen Kolleg:innen am USZ. Unter der Leitung von Prof. Robert Manka konnte das Herz-MR in der klinischen Versorgung am USZ inklusives eines regen Austausches von Ideen und Personal erfolgreich etabliert werden.
Wie ist Ihre Gruppe zusammengesetzt? Sind Sie auf der Suche nach Doktorierenden?
Meine Gruppe ist recht international und umfasst zurzeit zehn Doktorierende (Österreich, Italien, Kanada, Deutschland, Schweiz, China), drei Postdocs (Kuwait, Österreich, Italien), zwei Oberassistenten (Russland, Deutschland), sowie zwei Wissenschaftliche Mitarbeiter (Schweiz, Deutschland) und zwei Ärzte (Deutschland) in Teilzeit. Da einige Mitglieder der Gruppe demnächst ihre Arbeiten abschliessen werden und wir während der Pandemie nur sehr wenig rekrutieren konnten, besteht ein gewisser Nachholbedarf und entsprechend freuen wir uns jetzt auf neue Bewerbungen.
Welche Vorlesungen halten Sie in diesem und im nächsten Semester?
Im Bachelor bieten wir jeweils im Frühjahr «Medizinische Bildgebung I+II» für die Medizinstudierenden der ETH an; im Bachelor und Master offerieren wir die Vorlesungen «Biomedizinische Bildgebung» als Kernfach und «Anatomie und Physiologie I+II für Ingenieure» (Herbst+Frühjahr); im Master bin ich an der Vorlesung «Biomedizinische Technik» (Herbst) beteiligt und unterrichte jeweils im Frühjahr mit der Vorlesung «Magnetresonanzbildgebung in der Medizin» mein Steckenpferd. Ausserdem bieten Mitarbeiter meiner Gruppe jeweils im Frühjahr die Vorlesungen «Modell- und lernbasierte inverse Probleme in der Bildgebung» und «Theoretische Grundlagen von Magnetresonanzbildgebungssequenzen» an.
Sie sind seit August 2020 als Studiendirektor des D-ITET u.a. für die Umsetzung der Studienprogramme verantwortlich. Können Sie uns ein paar Einblicke in diesen Aufgabenbereich geben?
Die Aufgabe des Studiendirektors ist divers, aber auch spannend und Teil einer Teamleistung, um exzellente Lehrangebote als Kernelement des Auftrages der ETH zu organisieren und sicherzustellen. An dieser Stelle sei ausdrücklich der Studienkoordination und -administration für ihren Einsatz und für die bisherige Zusammenarbeit gedankt! Neben Aufgaben, die im Hintergrund ablaufen, interagiert der Studiendirektor mit dem Rektorat und den Studiendirektor:innen in anderen Departementen und ihm gebührt die Ehre, unsere Erstsemestrigen zu begrüssen und unsere Absolvent:innen feierlich zu verabschieden. Auch der Blick aus der Helikopterperspektive auf die Lehrangebote und -formen am D-ITET und deren zukünftige Weiterentwicklung auch in Hinblick auf stetig steigende Studierendenzahlen ist eine spannende und herausfordernde Aufgabe.
Hat die Coronakrise die Lehre nachhaltig verändert? Und wenn ja, inwiefern?
Während die Umstellung von Präsenz- auf Onlineunterricht für die Informationsvermittlung in der Pandemie prima und nahezu nahtlos funktioniert hat, ist der Übergang aus dem Onlineunterricht in die jetzige hybride Normalität in meinen Augen bisher weniger überzeugend und braucht weitere Überlegungen. Ohne Zweifel, Information kann heutzutage über diverse Kanäle und zu jeder Zeit zur Verfügung gestellt werden. Gleichzeitig bin ich aber überzeugt, dass eine effiziente und kritische Verarbeitung von Information eine Interaktion zwischen Studierenden untereinander und Studierenden und Dozierenden vor Ort erfordert. Nach meinen Erfahrungen sind insbesondere die Pausen zwischen Vorlesungsteilen essenzielle Elemente, in denen ein reger Austausch stattfindet. Diese Begegnungen vor Ort mit minimalen Hürden und der Möglichkeit, Fragen stellen zu können, sind leider nur mit Abstrichen online umsetzbar. Insofern sind Überlegungen angebracht, Vorlesungen in Offline- und Präsenzanteile aufzuteilen und längere «Pausen» einzubauen, um eine effektive Informationsverarbeitung und -diskussion vor Ort zu ermöglichen. Neue Ideen, Ansätze und Lösungen entstehen erfahrungsgemäss häufiger bei einem gemeinsamen Kaffee in der realen Welt als in einer Zoom-Session…