«Wenn man auf seinem Gebiet Konkurrenz hat, forscht man an einem wichtigen Thema»
Jürg Leuthold ist Professor für Photonik und Kommunikation am Departement Informationstechnologie und Elektrotechnik. Im Interview spricht er über seine Forschungsgebiete und ihre Herausforderungen sowie über die Veränderungen, die er als Departementsvorsteher umsetzen möchte.
Prof. Leuthold, was ist Ihr Forschungsschwerpunkt?
Wir forschen im Bereich Photonik und Terahertz und bemühen uns, die kleinsten, schnellsten und energieeffizientesten Bauteile der Welt herzustellen. Und zwar für Anwendungen im Bereich der Kommunikation und Sensorik. Wenn ich Kommunikation sage, dann ist das optische Glasfaserkommunikation, aber auch Mobilkommunikation. Und wenn ich Sensorik sage, dann können es z.B. CO2-Sensoren sein.
Können Sie ein konkretes Forschungsprojekt nennen?
Im Moment arbeiten wir mit einem Medizininstitut in Tübingen an einem Augenprojekt namens RetinaSensor. Das menschliche Auge ist äusserst empfindlich. Wir können im hellen Tageslicht sehen, sind aber auch in der Dämmerung in der Lage, Licht mit nur wenigen Photonen zu erkennen. Wir wollen einen Chip konstruieren, der in die Nähe dessen kommt, was das Auge kann. Es geht darum, eine zerstörte Retina durch einen neuen Sensor zu ersetzen, sodass blinde Menschen wieder sehen können. Der Sensor dafür muss superklein und kompatibel mit dem Gewebe sein und eine sehr hohe Auflösung haben.
«Wir bemühen uns, die kleinsten, schnellsten und energieeffizientesten Bauteile der Welt zu machen, und zwar für Anwendungen im Bereich der Kommunikation und Sensorik.»Prof. Jürg Leuthold
Was hat Sie zu diesem Gebiet geführt? Sie haben an der ETH Zürich Physik studiert. Erzählen Sie uns doch kurz Ihren Werdegang.
Ich fand Kern- und Teilchenphysik hochinteressant, war dann aber etwas abgeschreckt von den grossen Forschungsgruppen und hatte das Gefühl, dort nur ein kleines Rädchen im Getriebe sein zu können. Wie ich in die Photonik gekommen bin, war dann ein bisschen Zufall. Als ich meine Diplomarbeit in Quantenphotonik anfangen wollte, ist der dortige Professor weggezogen. So bin ich in einem Institut gelandet, an dem man photonische Kommunikation gemacht hat. Nach dem Doktorat bin ich zu den Bell Labs nach Amerika in die Forschung gegangen und nach etwas mehr als fünf Jahren nach Karlsruhe ans KIT berufen worden, wo ich das Institut für Quantenelektronik übernommen habe. 2011 wurde ich Direktor eines Helmholtz-Instituts am KIT. Seit 2013 bin ich zurück an der ETH Zürich und als ordentlicher Professor für Photonik und Kommunikation an der Schnittstelle von Physik und Elektrotechnik tätig.
Was fasziniert Sie an der Photonik?
Das Interessante an der Photonik ist, dass der Einzelne ein Projekt von Anfang bis zum Ende durchführen kann. Mein Institut ist so organisiert, dass man von der konzeptionellen Erfindung über Simulationen und Herstellung im Reinraum und Charakterisierung bis zum System alles machen kann. Auch die Komplexität des Lichts hat mich fasziniert. Wir forschen hier mit und an Quantenteilchen, welche elektrische und magnetische Eigenschaften besitzen. Allein die Interpretation dessen, was da im komplexen Raum passieren kann, ist oftmals herausfordernd. Im Übrigen ist die Photonik ein Gebiet, welches sowohl die Wissenschaft als auch die Industrie interessiert
Welche Auswirkungen hat Ihre Forschung auf die Gesellschaft?
Ich bin stolz darauf, dass mindestens eines meiner Bauteile jahrelang in der Industrie genutzt wurde. Etwa zwischen 2005 und 2015 gab es einen Kommunikationsempfänger, der im Wesentlichen auf meinen Arbeiten und jenen meiner Kollegen beruht hat und weltweit eingesetzt wurde.
Auch unter den laufenden Projekten gibt es viele industrierelevante Arbeiten. Da hofft man natürlich schon, dass die eine oder andere Idee von der Wirtschaft aufgegriffen wird. Kürzlich haben wir an einer der ersten Tbit/s Satellitenverbindung zur Internet-Datenübertragung gearbeitet. Dabei kamen neue Techniken zur Anwendung, welche durchaus von Interesse für verschiedene Firmen sind. Das Experiment war übrigens aussergewöhnlich: Da wir nicht ins Weltall konnten, haben wir unsere Bauteile auf einem Freistrahl-Link zwischen dem Jungfraujoch und Bern ausgetestet. Das sind etwa 53 Kilometer. Für solche Experimente können wird die Bauteile inhouse herstellen und dann bis zum Systemtest alles selbst durchführen.
Zurzeit arbeiten wir mit unserem Start-up Polariton daran, Bauteile, die wir hier erfunden haben, zu kommerzialisieren. Es geht um die optische Codierung elektrischer Daten fürs Glasfasernetz. Dazu gibt eine Standardmethode mit etwa fingergrossen Modulatoren. Unsere Modulatoren dagegen sind vielleicht so gross wie ein mit einem Bleistift gezeichneter Punkt. Da sie so klein und kompakt sind, sind sie auch viel schneller und sie brauchen etwa hundert bis tausendmal weniger Energie als die kommerziell erhältlichen Modulatoren.
Welche Herausforderungen sind derzeit die grössten in Ihrem Forschungsgebiet?
Wir können uns nicht ausruhen, sonst werden wir überholt. Ich sage immer: «Wenn man auf seinem Gebiet Konkurrenz hat, forscht man an einem wichtigen Thema». Und in der Tat entwickelt sich unser Gebiet rasend schnell weiter. Vor 20 Jahren hatten wir Modems mit 128 kbit/s, jetzt sind wir bei einem Gbit/s. Dazwischen liegt ein Faktor 10.000. Das sind unglaubliche Entwicklungen, mit denen man mithalten muss. Viele der Paradigmen, die früher richtig waren, sind mittlerweile überholt oder erwiesenermassen falsch.
Wir haben in unserer Forschung immer wieder ganz neue Techniken entwickelt, die man nicht entdeckt, wenn man linear weiterforscht. Z.B. ist eine Fokussierung auf die weitere Miniaturisierung zu eindimensional. Mehrmals hat die Entwicklung eine andere Richtung genommen, sodass dieses exponentielle Wachstum nach wie vor weitergehen kann. Ich will nun aber nicht gegen die Miniaturisierung anreden. Meine Gruppe arbeitet ja auch auf dem Gebiet der Single-Atom-Forschung. Man kann auch mit einem einzigen Atom sehr gut und zuverlässig schalten. Aber man kommt nicht mit alten Ideen dahin.
Mit welchen Kolleginnen und Kollegen innerhalb und ausserhalb des Departements haben Sie Kooperationen?
Wir arbeiten innerhalb des Departements vor allem mit den Kolleg:innen aus der Optik und Photonik zusammen. Neulich haben wir ein Paper mit Maksym Yarema und Vanessa Wood eingereicht. Ausserdem haben wir ein grösseres Projekt mit Mathieu Luisier und sind schon in einer Zusammenarbeit mit Hua Wang. Auch mit Lukas Novotny, der das Institut für Photonik leitet, haben wir gemeinsame Interessen und gemeinsame Publikationen. Und dann gibt es viele Kolleg:innen, mit denen man inspirierende Diskussionen hat und mit denen man schon längst arbeiten würde - wenn man nur genug Zeit hätte. Weiter gibt es Kooperationen mit anderen Departementen, schweizweite und innerhalb der EU.
Die Mitarbeit kann also fortgeführt werden trotz des Ausschlusse der Schweiz von «Horizon Europe», dem EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation?
Sagen wir es so: In den EU-Projekten sind wir nach wie vor ein umworbener Partner. Was weggefallen oder anders ist: Wir können keine Projekte mehr koordinieren und wir dürfen bei den Projekten des Europäischen Forschungsrats (ERC) nicht mehr teilnehmen. Das ist sicher ein Nachteil für uns. Gerade bei ERC ist der Review-Prozess schon sehr ausgefeilt. Das funktioniert bei den vom SNF durchgeführten Ersatzprojekten leider nicht im gleichen Masse.
Wie ist Ihre Gruppe zusammengesetzt? Sind Sie auf der Suche nach Doktorierenden?
Ja, ich suche Leute, die bereit sind, in diesem sportlichen Wettkampf mitzumachen. Ich nehme grundsätzlich zuerst Doktorierende, die hier das Masterstudium abgeschlossen haben und bei uns schon Arbeiten durchgeführt haben. Ich denke, meine Gruppe ist gerade in etwa so zusammengesetzt wie derzeit unsere Masterstudierenden, also ca. ein Drittel Schweizer und zwei Drittel aus dem Ausland. Die ausländischen Doktorierenden kommen dann auch aus der ganzen Welt, von Japan und China, der Ukraine bis Kanada. In Bezug auf die fachliche Zusammensetzung ist meine Gruppe sehr interdisziplinär: Wir haben insgesamt gut 25 Mitglieder mit Hintergrund in Elektrotechnik, Mathematik, Physik, Materialwissenschaften und Maschinenbau.
Welche Vorlesungen halten Sie in diesem und im nächsten Semester?
Ich halte immer zwei Vorlesungen pro Semester. Dieses Semester sind das «Nonlinear Optics» und «Optical Communication Fundamentals», zwei grundlegende Vorlesungen auf Masterniveau. Im Frühlingssemester unterrichte ich «Optics and Photonics», eine Einführungsvorlesung im Bachelor, sowie «Elektrotechnik I», eine Service-Vorlesung bei den Maschinenbauern.
Hat die Coronakrise die Lehre nachhaltig verändern?
Wir mussten in kurzer Zeit lernen, unsere Lehrveranstaltungen zu streamen. Auch wenn am Anfang ein grosses Unwohlsein da war, dass man in die Kamera blicken musste, hat man sich mittlerweile daran gewöhnt. Viele Studierende haben jetzt sicherlich besseren Zugang zum Lehrstoff. Auf der anderen Seite kann sich die fehlende Interaktion mit dem Dozierenden und den Studienkolleg:innen natürlich auch negativ auswirken. Es hilft manchmal sehr, wenn man den Kolleg:innen über die Schultern schaut und sieht: Upps, der ist schon so weit, wo stehe denn ich?
Sie treten im Januar 2023 das Amt des Departementsvorstehers am D-ITET an. Welche Themen liegen Ihnen besonders am Herzen und wo möchten Sie eventuell neue Akzente setzen?
Neben der Eröffnung des GLC-Gebäudes, die sich leider sehr in die Länge zieht, gibt es viele kleinere Baustellen, zum Beispiel: Wie können wir als Departement energetisch unsere Gebäude auf einen Stand bringen, der uns in die Zukunft führt? Ausserdem würde ich gerne gewisse administrative Prozesse vereinfachen. Dann möchte ich dem diesjährigen Rückgang an Bachelorstudent:innen an unserem Departement auf den Grund gehen. Da muss man sich schon fragen, woran das liegt und wie wir das verbessern können. Manchmal habe ich den Eindruck, dass die jungen Leute nicht wissen, woran wir in der Elektrotechnik arbeiten. Bei denjenigen, die bei uns studieren, müssen wir darauf achten, dass sie gut durchs Studium kommen. Das darf aber nicht auf Kosten der Qualität gehen. Ausserdem müssen wir daran arbeiten, dass in Zukunft endlich auch unsere Absolvent:innen an den Gymnasien lehren dürfen. Wer ein Ingenieursstudium an der ETH abgeschlossen hat, der ist auch in der Lage, an einem Gymnasium zu unterrichten.