Cross-Forming Control: «Unser Algorithmus könnte ein Schlüssel zur Integration von mehr erneuerbaren Energien sein»

Maitraya Desai ist Doktorand im Power Systems Laboratory und forscht an der Schnittstelle von Energiesystemen, Leistungselektronik und Regelungstechnik. In diesem Interview spricht er über einen neuartigen Steuerungsansatz für netzbildende Wechselrichter, der die Stabilität von künftigen Stromnetzen verbessern könnte – insbesondere bei einem hohen Anteil erneuerbarer Energiequellen.

Maitraya Desai hat einen Algorithmus erfunden, der die Energiewende beschleunigen könnte
Maitraya Desai hat einen Algorithmus erfunden, der die Energiewende beschleunigen könnte

Maitraya Desai, könnten Sie uns einen kurzen Überblick über Ihre
aktuelle Forschung geben?
Natürlich. Meine Forschung konzentriert sich auf die Stabilitätsfragen von Energiesystemen mit einem hohen Anteil von Wechselrichter-gekoppelten, dezentralen Energiequellen. Ich führe dynamische Netzanalysen mit detaillierten Modellen durch, um die Stabilität zu untersuchen und Anpassungen an Regelungsschemata zu erforschen, damit ein stabiler und zuverlässiger Betrieb heutiger und künftiger Energiesysteme gewährleistet ist.

Eine Ihrer jüngsten Entdeckungen könnte einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten. Können Sie die Erfindung beschreiben und erzählen, wie es dazu gekommen ist?
Die heutigen Stromnetze arbeiten mit Wechselstrom (AC), der mit einer Frequenz von 50 Hz (z.B. Europa) oder 60 Hz (z.B. USA) synchronisiert ist. Traditionell wurde diese Synchronisation durch physisch rotierende, synchrone Generatoren aufrechterhalten. Da diese Generatoren (von Kraftwerken) jedoch schrittweise zugunsten umweltfreundlicher, dezentraler erneuerbarer Energiequellen wie Solar und Wind abgeschafft werden, stehen wir vor einer Herausforderung. Diese Quellen erzeugen von Natur aus keinen Strom mit einer festen Frequenz – Solarstrom erzeugt Gleichstrom (DC), Wind kann Wechselstrom mit variabler Frequenz erzeugen. Daher verwenden wir Wechselrichter, um sie mit dem Stromnetz zu koppeln. Das Problem ist, dass sich heutige Wechselrichter an die Netzfrequenz anpassen und wie Stromquellen verhalten. Wenn es nun keine Frequenz gibt, an die man sich halten kann, muss man die Steuerung des Wechselrichters so umprogrammieren, dass er sich wie eine Spannungsquelle verhält und seine eigene Frequenz erzeugt. In diesem Bereich wurde viel geforscht, und diese Steuerung wird als «grid-forming» bezeichnet. Aber bei Netzfehlern – sagen wir, wenn ein Baum eine nicht isolierte Übertragungsleitung berührt – wird jedoch ein starker Stromstoss benötigt. Im Gegensatz zu synchronen Generatoren können halbleiterbasierte Wechselrichter solche Stromstösse nicht bewältigen und müssen ihren Ausgangsstrom begrenzen, was selbst bei diesen netzbildenden Wechselrichtern zu Instabilität aufgrund der Synchronisationsverluste führt. Zusammen mit Dr. Xiuqiang He, Dr. Linbin Huang – beides ehemalige Postdocs und Senior Scientists am Automatic Control Laboratory – und Prof. Florian Dörfler haben wir eine Steuerungsstrategie entwickelt, die auch im Fall von Netzfehlern ihr netzbildendes Verhalten der Spannungsquelle in grösstmöglichem Mass aufrechterhält. Wir nennen das Cross-Forming Control.

Könnten Sie erklären, wie diese Regelungsmethode funktioniert?
Im Wesentlichen haben wir erkannt, dass wir zur Aufrechterhaltung der Stabilität zwei Dinge unabhängig voneinander anschauen müssen: Den Spannungswinkel, der für die Synchronisierung sorgt, und die Stromstärke, die sicherstellt, dass der Wechselrichter nicht überlastet wird. Dank dieser entkoppelten Regelungsstruktur kann sich der Wechselrichter auch bei Fehlern (weitestgehend) wie eine Spannungsquelle verhalten, die Stabilität aufrechterhalten und so viel Strom wie sicher möglich liefern.

Was macht Ihre Lösung besonders effektiv?
Unser Ansatz baut auf jahrelanger Forschung auf und ist so konzipiert, dass er mit derzeitigen netzbildenden Lösungen rückwärtskompatibel ist. Er erfordert nur Anpassungen in der Software – nahezu keine neue Hardware. Das macht es einfach, diesen in bestehende Systeme zu implementieren und zu integrieren.

Ist Ihr Ansatz spezifisch für das europäische Netz oder kann er für einen weltweiten Einsatz angepasst werden?
Er könnte mit Sicherheit angepasst werden. Die Regelungsstrategie ist flexibel und kann auf verschiedene Netzfrequenzen abgestimmt werden. Es ist mit kleinen Anpassungen weltweit anwendbar.

Könnte diese Lösung die Energiewende beschleunigen?
Ich hoffe sehr, dass sie das kann. Wir haben sie bereits mathematisch und in kleinen Experimenten validiert. Wir arbeiten jetzt mit Partnern aus der Industrie zusammen, um sie in grösserem Massstab zu testen. Wenn das erfolgreich ist, könnte sie ein Schlüssel zur Integration von mehr erneuerbaren Energien in das Stromnetz sein.

Maitraya Desai
«Wir haben eine Steuerungsstrategie entwickelt, die auch im Fall von Netzfehlern ihr netzbildendes Verhalten der Spannungsquelle in grösstmöglichem Mass  aufrechterhält.»
Maitraya Desai
Maitraya Desai

Wurde bereits ein Patent angemeldet?
Ja, das Patent wurde im April 2024 eingereicht. Seither haben wir einige Papers veröffentlicht und befinden uns in Gesprächen mit Industriepartnern über mögliche Kooperationen, einschliesslich Masterarbeiten und Validierungen in grösserem Massstab.

Inwieweit trägt der Algorithmus zu Ihrer Doktorarbeit insgesamt bei?
Ich konzentriere mich in meiner Doktorarbeit auf verschiedene Themen, die von der Überarbeitung der Modellierung heutiger und zukünftiger Energiesysteme bis hin zu ihrem stabilen und optimalen Betrieb reichen. Dieser Algorithmus passt genau in diesen Bereich der Doktorandenforschung. Beispielsweise führe ich derzeit vergleichende Leistungsanalysen verschiedener Regelungsansätze durch – darunter auch unseren eigenen – mit Hinblick auf die Netzdienstleistungen.

Funktioniert Ihr Algorithmus mit allen Arten von erneuerbaren Energien?
Ja, er ist so konzipiert, dass er mit verschiedenen erneuerbaren Energiequellen – Solar, Wind usw. – kompatibel ist, solange sie über Wechselrichter miteinander verbunden sind. Die Regelungslogik ist unabhängig von der jeweiligen Energiequelle anwendbar.

Was ist der nächste Schritt bei Ihrer Arbeit?
Unser Ziel ist es, den Algorithmus bis Ende des Jahres in einem gross angelegten Set-up zu validieren. Wenn dies erfolgreich ist, könnte das den Weg für einen Technologietransfer und eine breitere Anwendung ebnen.

Zu guter Letzt, was hat sie zur Elektrotechnik und zur ETH Zürich geführt?
Ich hatte schon immer Freude an Mathematik und Problemlösungen. Während meines Bachelors in Mumbai habe ich begonnen, mich für die Steuerung von Energiesystemen zu interessieren und bin auf Papers von verschiedenen Laboren auf der ganzen Welt gestossen. Darunter war eines der Professoren Florian Dörfler und Gabriela Hug, das mich dazu inspirierte, mich an der ETH Zürich für den Master zu bewerben; und nun promoviere ich hier.

Über Maitraya Desai

Die Forschung von Maitraya Desai unterstreicht die Bedeutung innovativer
Steuerungskonzepte für die Integration erneuerbarer Energiequellen. Seine Lösung könnte eine entscheidende Komponente für ein stabiles und nachhaltiges Stromnetz der Zukunft sein.

Vor seinem Doktorat am Power Systems Laboratory (PSL), geführt von Prof. Gabriela Hug, erlangte Maitraya Desai einen Bachelor in Elektrotechnik am Veermata Jijabai Technological Institute in Mumbai. Anschliessend absolvierte er ein Master-Studium in Elektrotechnik und Informationstechnologie an der ETH Zürich. Während seines Masters arbeitete er im Rahmen einer Semesterarbeit im Automatic Control Laboratory unter der Leitung von Prof. Florian Dörfler, Dr. Xiuqiang He, und Dr. Linbin Huang. Derzeit forscht er für seine Doktorarbeit unter der Leitung von Prof. Hug, Prof. Dörfler fungiert als zweiter Supervisor.

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