«Die elektrische Energie ist die Basis von allem in der Elektrotechnik»
Gabriela Hug ist Professorin am Power Systems Laboratory am Departement Informationstechnologie und Elektrotechnik und Vorsteherin des Energy Science Center (ESC). In unserem Interview spricht die D-ITET-Absolventin über ihren beruflichen Werdegang und über die Bedeutung der Elektrotechnik für die künftige Energiesicherheit.
Was ist Ihr Forschungsschwerpunkt?
Unser Forschungsschwerpunkt liegt auf dem elektrischen Energiesystem und dessen optimalem Betrieb. Wir beschäftigen uns unter anderem mit der Modellierung, also der mathematischen Beschreibung des Energiesystems. Dadurch können wir etwa berechnen, wie ein elektrisches Energiesystem im Jahr 2050 aussehen könnte, in dem das Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch jederzeit sichergestellt ist.
Zusätzlich entwickeln wir Regelungsalgorithmen, die beispielsweise die optimale Koordination zwischen Speicher, Solaranlagen und anderen Kraftwerken über verschiedene Zeitskalen ermöglichen. Dies reicht vom Sekundenbereichen bis hin zur saisonalen Planung.
Daten spielen ebenfalls eine wichtige Rolle bei uns. Wir nutzen Daten aus Smart Meters sowie Messungen im elektrischen Energienetz, um fundierte Entscheidungen zu treffen und das Netz transparent zu gestalten. Dadurch wissen wir stets, was momentan im System geschieht und ob wir uns nahe an den Kapazitätsgrenzen bewegen oder nicht. Die Menge an verfügbaren Daten nimmt dabei stetig zu. Es ist entscheidend, diese Daten in nutzbare Informationen umzuwandeln, um den Betrieb und die Überwachung des elektrischen Energiesystems zu verbessern.
Was hat Sie zu diesem Gebiet geführt?
Ursprünglich wollte ich Mathematik studieren. Doch dann fragte mich mein Physiklehrer, ob ich Lust hätte, bei einer Forschungswoche von «Jugend forscht» mitzumachen. Am Ende dieser Woche, in der wir Roboter bauten, wurde mir klar, dass ich eigentlich sehr gerne Technik mag, da sie angewandte Mathematik beinhaltet.
Danach habe ich mich informiert, wo ich Ingenieurwissenschaften studieren könnte. Während eines Besuchs an der ETH, setzte ich mich auch in eine Elektrotechnik Vorlesung und mir wurde bewusst, dass dies das Richtige für mich ist. Auf den Fokus elektrische Energie bin ich gekommen, da sie gewissermassen die Mutter von allem anderen in diesem Bereich ist: Ohne Elektrizität kann es keine Computer oder andere Technologien geben.
«Ursprünglich wollte ich Mathematik studieren. Doch dann fragte mich mein Physiklehrer, ob ich Lust hätte, bei einer Forschungswoche von «Jugend forscht» mitzumachen. Am Ende dieser Woche, in der wir Roboter bauten, wurde mir klar, dass ich eigentlich sehr gerne Technik mag, da sie angewandte Mathematik beinhaltet.»Prof. Gabriela Hug
Was sind aus Ihrer Sicht die grössten Veränderungen und Weiterentwicklungen am Departement seit Ihrem Studienabschluss an der ETH Zürich?
Die bedeutendsten Veränderungen liegen in der Flexibilität und den Projekten. Zu meiner Studienzeit hatten wir bereits Semester- und Masterarbeiten, aber heute besteht eine grössere Flexibilität in Bezug darauf, wie man die erforderlichen Kreditpunkte erreichen möchte. Vielleicht will man ein Praktikum absolvieren oder eine weitere Arbeit verfassen. Damals existierte auch das Center for Project-Based Learning noch nicht, das heute viele spannende interdisziplinäre und praxisorientierte Projekte anbietet.
Welche Auswirkungen hat Ihre Forschung auf die Gesellschaft?
Unsere Forschung trägt dazu bei, Wege zu einem nachhaltigen Energiesystem aufzuzeigen. Unser Ziel ist es, technische Lösungen zu entwickeln, um den Systembetrieb sicher zu gestalten, auch wenn ein Grossteil der Ressourcen erneuerbare Energien sind. Doch unsere Rolle geht über die Technik hinaus: Wir sehen es als unsere Aufgabe an, die Öffentlichkeit über die Möglichkeiten und Grenzen, die Mythen und Tatsachen im Zusammenhang mit verschiedenen Energieträgern aufzuklären, anstatt pauschale Aussagen zu treffen. Dabei sind wir neben Einzelpersonen und der Öffentlichkeit auch in Kontakt mit Einrichtungen, Behörden und politische Institutionen. Dabei ergeben sich z.T. polarisierende Themen, wie etwa die Kernkraft oder der Energiehandel mit dem Ausland.
Welche Herausforderungen sind derzeit die grössten in Ihrem Forschungsgebiet?
In einem elektrischen Energiesystem ist es von entscheidender Bedeutung, dass die eingespeiste Energie stets dem aktuellen Verbrauch entspricht. Es existieren zwar Energiespeicher, aber deren Kapazitäten und Einsatzmöglichkeiten sind beschränkt. Gleichzeitig ist es wichtig, darauf zu achten, dass das Netz nicht überlastet wird. Es gibt festgelegte Grenzen für Leitungen und Transformatoren, die nicht überschritten werden dürfen. Man kann berechnen, wo und wie der Strom fliessen wird. Diese Balance muss auf verschiedenen Zeitskalen eingehalten werden, von Sekunden bis hin zu einem ganzen Jahr.
Die Integration erneuerbarer Energien bringt zudem neue Fluktuationen ins Netz und verändert dessen Reaktion auf kurzfristige Veränderungen. Wenn weniger Energie erzeugt als verbraucht wird, können erneuerbare Ressourcen dazu beitragen, dass das System schneller instabil wird. Diese Variabilität muss ausgeglichen werden. Wir entwickeln also keine neuen Windturbinen und Solarzellen, sondern betrachten deren Integration. Dies ist die Hauptherausforderung, mit der wir uns beschäftigen und die bis zu einem gewissen Grad aber mit der nicht-technischen, also der politischen Seite, gekoppelt ist.
Eine weitere Herausforderung sind die Daten und deren Nutzung. Momentan stellt sich die Frage, wie man die grossen Mengen an erhobenen Daten nutzen kann, um den Netzbetrieb sicher zu stellen und zu optimieren. Diese Daten müssen ausserdem geschützt werden.
Mit welchen Kolleg:innen innerhalb und ausserhalb des Departements haben Sie Kooperationen?
Als Co-Direktorin des NCCR Automation pflege ich zahlreiche Kollaborationen. Einige davon liegen im Bereich der Automatisierungstechnik, wo es um Regelungen und neue Optimierungsalgorithmen geht. Hier arbeite ich beispielsweise mit Kolleg:innen des Instituts für Automatik (IfA) und der EPFL zusammen.
Weitere Kollaborationen betreffen die Energiesystemmodellierung und Szenariengenerierung. Hierbei analysieren wir, wie optimale Investitionen in Bereichen wie Erzeugung oder Speichern aussehen könnten. In diesem Kontext arbeite ich mit Kolleg:innen vom D-MAVT und D-MTEC zusammen. Zudem pflege ich eine sehr enge Zusammenarbeit mit dem Energy Science Center, wo ich auch Vorsitzende des Vorstands bin. Die Hauptaufgabe des Energy Science Centers besteht darin, grössere, neuere Projekte anzustossen und Professor:innen dafür zu gewinnen. Im Zuge dieser Arbeit kollaboriere ich immer wieder mit verschiedenen Personen.
Welche Vorlesungen halten Sie in diesem und im nächsten Semester?
Im Herbstsemester unterrichte ich gemeinsam mit Christian Franck eine Einführungsvorlesung zum elektrischen Energiesystem. Ebenfalls im Herbstsemester findet die Vorlesung «Power System Analysis» statt. Im Frühlingssemester unterrichte ich «Optimierung in elektrischen Energiesystemen». Meine Vorlesung «Power Systems and Dynamics» ist die fachlich am fortgeschrittenste.
Wie ist Ihre Gruppe zusammengesetzt? Sind Sie auf der Suche nach Doktorierenden?
Wir sind stets auf der Suche nach Doktorierenden! Meine Gruppe ist sehr heterogen und auch sehr international: Unter unseren 18 Mitgliedern sind mehr als zehn Nationen vertreten. Aktuell besteht meine Gruppe zu 50 Prozent aus Frauen, doch die Zusammensetzung ändert sich eigentlich ständig.
Auch fachlich sind wir breit aufgestellt: Einige Mitglieder kommen aus dem Wirtschaftsbereich und beschäftigen sich mit Elektrizitätsmärkten, andere stammen aus dem Bereich der Energiesystemmodellierung und entwickeln Szenarien. Wieder andere haben ihren Schwerpunkt in der Optimierung und Regelungstechnik. Die verschiedenen Hintergründe führen dazu, dass auch die Projekte sehr unterschiedlich sind.
Professor:innen am D-ITET
In unserer Interview-Reihe geben Professor:innen am D-ITET einen Einblick in ihre Forschung und ihre persönliche Motivation, in die Wissenschaft zu gehen.
Links
- Energy security in a climate-neutral Switzerland is possible
- Power Systems Laboratory
- Energy Science Center (ESC)
- externe Seite NCCR Automation
- Prof. Gabriela Hug im Zukunftsblog